Sanfte Eroberung
halten, wurde zusehends quälender. Sollte er noch eine keusche Nacht mit ihr erleben, sie liebkosen, fürchtete er, dass er nicht an sich halten könnte. Würde er jedoch seinem Verlangen nachgeben, machte er sie damit unwiderruflich sein.
Ein vorläufiger Rückzug könnte eventuell sein inneres Feuer besänftigen und ihm zumindest den Anschein von Selbstbeherrschung zurückgeben.
Ja, es schien ein sehr weiser Schritt, wenigstens künftige körperliche Intimität mit Lily zu vermeiden. Und ein noch weiserer war es, sie fürs Erste nicht mehr zu umwerben. So gab er ihr Zeit, für sich über alles nachzudenken.
Er selbst würde die Zeit nutzen, um sich zu überlegen, wie er Lilys Vertrauen und Respekt gewann, ihr eine bessere Seite seiner selbst zeigte, damit sie nicht mehr bezweifelte, dass er sich in jeder Hinsicht von der Art Mann unterschied, die sie verachtete und fürchtete.
Zwölftes Kapitel
Es ist äußerst seltsam. Er scheint das Spiel aufgegeben zu haben.
Lily an Fanny
Lily war überrascht, Heath am nächsten Tag nicht wiederzusehen. Bisher hatte er sie täglich besucht, und sie hatte eigentlich erwartet, er würde es auch weiterhin tun. Doch am Mittwoch sah sie ihn nicht und bekam nicht einmal eine Nachricht von ihm.
Am Donnerstag auch nicht.
Höchst verwunderlich war überdies zu erfahren, dass er Fleur und Chantel eingeladen hatte, am Abend seine Theaterloge mit ihm zu teilen, ohne Lily mit einem Wort zu erwähnen.
Lord Poole sollte die beiden Kurtisanen begleiten, wie Lily hörte. Seit dem Abend der Soiree wohnte der Viscount quasi in der Privatpension und war offensichtlich in Chantel verliebt, was die alternde Schönheit in einem geradezu rührenden Maße entzückte.
Nachdem sie Heaths Einladung ins Theater bereits ausgeschlagen hatte, konnte sie schlecht monieren, dass sie nun ausgeschlossen wurde. Doch als er eintraf, um die Kurtisanen abzuholen, sprach er so gut wie gar nicht mit ihr.
Fleur und Chantel bemerkten es offenbar nicht, weil sie viel zu aufgeregt waren, dass Lord Claybourne ihnen diesen besonderen Abend bescherte. Sie wuselten lachend und plaudernd durch die Eingangshalle, während sie ihre Stolen und Fächer holten.
Bevor sie gingen, sagten sie Lily, sie solle nicht auf sie warten, weil seine Lordschaft sie nach dem Theater noch zum Essen ausführte.
Eben hatte noch muntere Ausgelassenheit geherrscht, dann war das Haus auf einmal sehr still, was Lilys Stimmung schlagartig drückte. Sie begab sich in den Hauptsalon, wo sie sich etwas zu lesen suchen wollte. Seit die Soiree vorbei war, fühlte sie sich unangenehm nutzlos. Zwar gab es noch einige Mädchen, die sie auf deren Wunsch hin unterrichtete, aber für die meisten von ihnen bestand keine Notwendigkeit mehr.
Lily sah, dass die heutige Zeitung, The Morning Post, auf einem Beistelltisch lag, und begann, sie durchzublättern. Fleur und Chantel hatten sowohl die Morgen- als auch die Abendzeitung abonniert, weil sie beide die Klatsch- wie die Modeseiten liebten. Lily hingegen interessierten gewöhnlich die Artikel über Bücher, Politik, Auslandsnachrichten und die SchiffsMeldungen, die es heute Abend jedoch sämtlichst nicht vermochten, ihre Aufmerksamkeit zu fesseln.
Stattdessen fragte sie sich immerfort, ob Heath es aufgegeben hatte, um sie zu werben.
Seltsamerweise enttäuschte sie diese Möglichkeit, dabei sollte sie doch froh sein, dass sie ihn los war!
Ihr Bedauern würde nur vorübergehend anhalten, redete Lily sich ein. Heaths Abwesenheit würde lediglich eine momentane Leere in ihrem Leben schaffen, aber diese wäre schnell gefüllt. Lily konnte nicht leugnen, dass sie ihn die letzten zwei Tage vermisst hatte. Ihr fehlten seine ständigen Neckereien, seine Provokationen und die Art, wie er sie in Erregung versetzte, wenn ...
Sogleich unterband Lily ihre Gedanken energisch, war es doch fruchtlos, über Heaths Pläne nachzugrübeln. Allerdings konnte sie nicht umhin, sich zu fragen, ob ihre Nacht der Leidenschaft ihm womöglich die Augen geöffnet hatte, was Lilys Unzulänglichkeiten betraf. Von Fanny wie auch aus anderen Quellen wusste sie sehr wohl, dass körperliche Gelüste bei Männern nach Befriedigung verlangten. Und wahrscheinlich war sie zu unerfahren, zu ungeschickt, zu jungfräulich, um einen berühmten Liebhaber wie Heath zu befriedigen.
Vielmehr war erstaunlich, dass er so lange an sich gehalten hatte.
Lily dachte an seine Erklärung, er könnte sich selbst eine Mätresse suchen, wenn
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