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Santiago liegt gleich um die Ecke

Santiago liegt gleich um die Ecke

Titel: Santiago liegt gleich um die Ecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Albus
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einer »LEON GmbH« und stelle mir ganz kurz vor, wie es wäre, wenn das das Ortsschild des echten Leon … Ein paar Hundert Meter weiter stoße ich schließlich aus heiterem Himmel auf einen Bierstand. Es ist noch keine zwölf Uhr, und etwa 20 Leute tanken schon – ich muss in der Nähe von Köln sein! Offenbar findet ein Radrennen statt, aber es kommen nur wenige Teilnehmer vorbei, um nicht zu sagen: gar keiner. » Rund um Köln «, sagt der Typ am Zapfhahn und händigt mir das erste Kölsch auf dieser Reise aus. Lecker! Gut, dass ich zu Fuß hier bin … Ich komme mit einem Rentner mit gewaltigem Bauch und ebenso gewaltigen Koteletten, die seit 30 Jahren jeden Friseur ins Exil treiben würden, ins Gespräch über Leben aus dem Rucksack und Wandern. Er hat den Dunstkreis seines Heimatortes kaum jemals verlassen, außer für ein paar mal Nordsee, wie er mir erklärt. »Ist ja auch schön hier«, sage ich. »Ja, wenn man hier wohnt, weiß man das gar nicht zu schätzen…« Er wird plötzlich nachdenklich. »Ich war da hinten noch nie spazieren«, sagt er, und zeigt in die Richtung, aus der ich gekommen bin. »Irgendwie sieht man sich seine Urlaubsorte genauer an als die Heimat …« »Ja, kenn’ ich«, sage ich.

    Irgendwie sieht man sich seine Urlaubsorte genauer an als die Heimat.
    In Schildgen komme ich an der Herz-Jesu-Kirche vorbei. In meinem Reiseführer wird das Sichtbeton-Bauwerk für seinen orientalischen Charme gelobt. Auf mich wirkt es leider eher wie die Tankanlage eines Chemiewerks. Gerade geht ein Gottesdienst zu Ende, der Vorplatz füllt sich langsam mit Leuten. Eine junge Frau in ultraweißer Bluse lächelt mich an. »Sie suchen sicher den Pilgerstempel? Ach, kommen Sie einfach mal mit«, sagt sie mit der zupackenden Freundlichkeit einer großen Schwester und stellt mich Sekunden später einem feierlich gekleideten, älteren Herrn mit linealgerade durchgedrücktem Rücken vor, der mich prompt in die Kirche geleitet. Tatsächlich: Auf einem Mauersims hinten rechts im Kirchsaal zeigt er mir eine kleine blaue Stele, an der ein Stempel festgebunden ist. Darüber hat jemand eine kleine Muschelschale geklebt. »Der Pfarrer kann ja auch nicht immer da sein«, sagt der Mann, »darum haben wir den Stempel für die Kirche anfertigen lassen. Leider weiß kaum jemand davon …« Ich drücke mir das Ding mit der stilisierten Skyline von Schildgen und dem Schriftzug »Auf dem Jakobsweg – Herz Jesu Schildgen« in den Pilgerpass. Eigentlich ist Schildgen ja gar kein Etappenziel für mich … dann ersetzt mir der Stempel eben den, den ich zwischen Wermelskirchen und Altenberg verpasst habe. Ich bitte den Herrn, noch ein Foto von mir zu machen.
Er wirkt etwas irritiert. Vielleicht hat er eher damit gerechnet, dass ich jetzt erst einmal ein Gebet spreche. Er tut mir den Gefallen trotzdem.
    Hinter Schildgen stehe ich plötzlich mitten in einem Kiefernforst. Meiner Karte ist leider zu entnehmen, dass es mit der Idylle bald vorbei ist. Ich mache also vorsichtshalber eine Pause und werde prompt von zwei älteren Spaziergängern geortet und in ein Gespräch verwickelt. »Sind Sie Pilger?« »Ja, schon.« »Hier kommen öfter welche vorbei.« »Ja, schön.« Ich hake meine Feldflasche aus und proste den beiden zu. »Neulich war da sogar einer, der lief doch tatsächlich in einem Kostüm herum.« »Schatz, das war doch ein Pfarrer .« »Neinnein, der hatte so einen Hut und einen Mantel und einen langen Stab mit einem Kürbis dran, das war ein Pilger .« Ich denke mir ein paar passend klobige Schuhe zum Kostüm hinzu und sage: »Na, der wird nicht weit gekommen sein.« »Für uns ist das ja auch zu weit«, sagt die Frau. »Aber wir gehen jeden Tag hier spazieren.« »Dann haben Sie ja die Kilometer bis Santiago vielleicht schon zusammen«, sage ich. Die beiden schauen sich an, scheinen aber anderer Meinung zu sein.
    Während wir noch eine Weile weiterreden, registriere ich plötzlich, wie viel ich in den vergangenen Tagen schon erlebt habe – irgendwie kann ich eine ganze Menge erzählen. Dabei habe ich gerade mal 140 Kilometer zusammen! Und noch etwas fällt mir auf: Wie flach die Gegend plötzlich ist. Offenbar habe ich mit den Hügeln vor Schildgen das Bergische Land endgültig hinter mir

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