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Saphirblau

Saphirblau

Titel: Saphirblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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konnte, was 1956 vorgefallen war.
    Mr George erwiderte seinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. Er sah allenfalls ein bisschen irritiert aus. »Das war keine Bitte, Gideon. Madame Rossini wartet. Marley, Sie können auch gehen.«
    »Ja, Sir, Mr George, Sir«, murmelte Mr Marley und hätte fast salutiert.
    Als die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, funkelte Mr George Gideon an, der sich nicht gerührt hatte. Auch Mr Whitman musterte ihn mit mildem Erstaunen.
    »Worauf wartest du?«, sagte Mr George kühl.
    »Warum haben Sie Gwendolyn am helllichten Nachmittag landen lassen - ist das nicht gegen die Vorschriften?«, fragte Gideon.
    »Oh, oh«, sagte Xemerius.
    »Gideon, es ist nicht deine . . .«, sagte Mr Whitman.
    »Es spielt keine Rolle, um welche Tageszeit sie gelandet ist«, fiel ihm Mr George ins Wort. »Sie ist in einem verschlossenen Kellerraum gelandet.«
    »Ich hatte Angst«, sagte ich schnell und vielleicht ein bisschen schrill. »Ich wollte nicht in der Nacht allein in diesem Keller sein, direkt neben den Katakomben . . .«
    Gideon wandte seinen Blick kurz mir zu und hob wieder eine seiner Augenbrauen. »Oh, ja, du bist ja auch so ein ängstliches kleines Ding, das hatte ich ganz vergessen.« Er lachte leise. »1956 - das war das Jahr, in dem Sie Mitglied der Loge geworden sind, Mr George, nicht wahr? Was für ein komischer Zufall.«
    Mr George runzelte seine Stirn.
    »Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst, Gideon«, sagte Mr Whitman. »Aber ich würde vorschlagen, dass du jetzt zu Madame Rossini gehst. Mr George und ich werden uns um Gwendolyn kümmern.«
    Gideon schaute wieder auf mich. »Folgender Vorschlag: Ich werde die Anprobe hinter mich bringen und dann schicken Sie mich Gwendolyn einfach hinterher, egal, wohin. Dann muss sie sich in der Nacht nicht fürchten.«
    »Außer vor dir«, sagte Xemerius.
    »Du hast dein Kontingent für heute längst erfüllt«, sagte mein Lehrer. »Aber wenn Gwendolyn sich fürchtet . . .« Er blickte mitleidig zu mir herüber.
    Ich konnte es ihm nicht übel nehmen. Es war anzunehmen, dass ich wirklich irgendwie verängstigt wirkte. Das Herz klopfte mir immer noch bis zum Hals und ich war unfähig, irgendetwas zu sagen.
    »Von mir aus können wir das so machen«, sagte Mr Whitman mit einem Achselzucken. »Es spricht nichts dagegen, oder Thomas?«
    Mr George schüttelte langsam den Kopf, auch wenn er so aussah, als ob er eigentlich das Gegenteil hatte tun wollen.
    Über Gideons Gesicht glitt ein zufriedenes Lächeln und er löste sich endlich aus seiner starren Haltung neben der Tür. »Wir sehen uns dann nachher«, sagte er triumphierend und es kam mir vor wie eine Drohung.
    Als die Tür hinter ihm zufiel, seufzte Mr Whitman. »Er ist seltsam drauf, seit er diesen Schlag auf den Kopf bekommen hat, findest du nicht auch, Thomas?«
    »Allerdings«, sagte Mr George.
    »Wir sollten vielleicht noch einmal ein Gespräch mit ihm führen, den Umgangston mit Höhergestellten betreffend«, sagte Mr Whitman. »Für sein Alter ist er ganz schön ... Nun ja. Er steht unter großem Druck, darauf müssen wir auch Rücksicht nehmen.« Er sah mich aufmunternd an. »Also, Gwendolyn, bist du bereit?«
    Ich stand auf. »Ja«, log ich.
     
    Der Rabe auf seinen rubinroten Schwingen
    Zwischen den Welten hört Tote er singen,
    Kaum kennt er die Kraft, kaum kennt er den Preis,
    Die Macht erhebt sich, es schließt sich der Kreis.
     
    Der Löwe — so stolz das diamant'ne Gesicht,
    Der jähe Bann trübt das strahlende Licht,
    Im Sterben der Sonne bringt er die Wende,
    Des Raben Tod offenbart das Ende.
     
    Aus den Geheimschriften des Grafen von Saint Germain
     

9
    Ich hatte nicht nach dem Jahr gefragt, in das sie mich geschickt hatten, denn es spielte ohnehin keine Rolle. Es sah eigentlich alles so aus wie bei meinem letzten Besuch. Das grüne Sofa stand mitten im Raum und ich warf ihm einen zornigen Blick zu, als wäre es an allem schuld. Wie beim letzten Mal waren Stühle vor der Wand mit Lucas' Versteck gestapelt und ich kämpfte mit mir. Sollte ich das Versteck räumen? Falls Gideon Verdacht geschöpft hatte - und das hatte er zweifellos -, würde er doch als Erstes auf die Idee kommen, den Raum zu durchsuchen, oder nicht? Ich konnte den Inhalt irgendwo draußen in den Gängen verstecken und dann zurückkommen, bevor Gideon eintraf. . .
    Fieberhaft begann ich, die Stühle beiseitezuschieben, dann überlegte ich es mir wieder anders. Erstens: Den Schlüssel konnte ich nicht

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