Saphirtraenen (Gesamtausgabe)
Baumkrone, mehr nicht.
Fasziniert beobachte ich, wie schnell die Flügel des kleinen Wesens schlagen, um es in der Luft zu halten. Mitleidig strecke ich meine Hand aus. Zu meiner Überraschung lässt sich die kleine Fee tatsächlich auf ihr nieder.
Ihr zierlicher Kopf kippt hin und her, während die kleinen Augen mich mit unverhohlener Neugier betrachten. Die langen schwarzen Haare sind zu einem Zopf zurückgebunden, ihr Kleid besteht aus roten Blütenblättern und sieht aus, als könne es jeden Moment von einer Brise erfasst und davongetragen werden.
„Hallo“, hauche ich leise, um sie nicht gleich wieder zu verschrecken. Statt zu antworten, lässt die Fee sich auf ihre Knie sinken und mustert mich weiterhin wortlos.
Ein leichter Windhauch spielt mit dem langen Haar der kleinen Baumwächterin. Entgegen meiner Erwartungen bleibt sie seelenruhig sitzen, als würde sie nichts spüren. Vorsichtig hebe ich die Hand näher zu meinem Gesicht. Kornblaue Augen zwinkern mir vergnügt zu.
Ich lächle zaghaft, die Fee ist nur noch knapp zwei Fingerbreit von meiner Nasenspitze entfernt und weicht dennoch nicht zurück.
Auf einmal hebt sie ihre Hände und berührt meine Nase. Die sanfte Berührung kitzelt und entlockt mir ein Kichern. Ein weiteres Lachen ertönt. Zart, hell und klar. Es erinnert mich an das Rauschen des Windes in den Blättern und das leise Gurgeln des Baches. Erstaunt starre ich das kleine Wesen auf meiner Hand an, welches solch einen wunderbaren Laut hervorbringen kann. Das Wesen springt nach oben, überschlägt sich in der Luft, umrundet übermütig meinen Kopf und verschwindet dann zwischen den Blättern in der Dunkelheit.
Verblüfft stehe ich eine Weile da und lasse die letzten Augenblicke Revue passieren. Ich habe soeben eine Fee gesehen. Eine leibhaftige, zierliche, tollkühne Fee. Ein warmes Gefühl breitet sich in mir aus, fließt von meinem Herz bis in meine Fingerspitzen und zaubert mir ein Lächeln aufs Gesicht.
Als ich hinter mir Äste knacken höre, reagiere ich einen Atemzug zu spät. Eine warme Hand legt sich um meinen Hals. Angsterfüllt halte ich inne. Hat Deargh mich gefunden? Mein Herz schlägt verräterisch laut und schnell. Gedankenblitze zucken an meinem inneren Auge vorbei. Die Vernichtung meines Dorfes Cad’e. Alriels abgebissene Zunge. Dearghs dämonisches Lachen.
„Ich hätte dich nicht alleine gehen lassen dürfen, du kannst dich ja kaum wehren.“
Wütend zische ich und trete so fest auf Edans Fuß, dass er aufstöhnt.
„In Ordnung, ich lasse dich los. Aber nicht kratzen, Wildkätzchen.“
Der Druck auf meiner Haut lässt nach und ich stolpere nach vorne. Aufgebracht wirble ich herum und starre empört auf Edans Umrisse.
„Was soll das?“, flüstere ich und weiche einen Schritt zurück. Obwohl ich insgeheim Fluchtpläne schmiede, kränkt mich sein Misstrauen. Gerade in einem Moment, in dem ich ausnahmsweise meine Gefangennahme vergessen habe, erinnert er mich daran. Ich wollte in dieser Nacht nicht fliehen. Das erste Mal seit unserer Zusammenkunft wollte ich einfach nur das tun, was ich ihm gesagt hatte: Wasser holen.
„Was soll was?“
Die Unschuld in seiner Stimme macht mich rasend.
„Du hast mich verfolgt und beinahe zu Tode erschreckt. Warum?“
Im Halbdunkel erkenne ich, dass der Halbdämon entschuldigend mit den Schultern zuckt. Seine gemurmelten Worte werden von der Finsternis verschluckt.
„Bitte was?“
„Ich habe mir Sorgen um dich gemacht“, wiederholt er, dieses Mal klar und deutlich. Erstaunt zucke ich zurück, meine Wut verpufft und wird von einem warmen Gefühl ersetzt.
„Der hohe Herr zeigt also Gefühle, ja?“
Klatsch. Am liebsten würde ich mich für diese hartherzige Antwort ohrfeigen, aber es ist zu spät. Meine Schlagfertigkeit erstaunt mich selbst wohl am meisten, denn Edan lacht leise.
„Ja, ich zeige wohl Gefühle. Jetzt geh Wasser holen.“
Mit diesen Worten dreht er sich um und verschwindet in der Dunkelheit. Zitternd stehe ich im Wald und zähle meine Atemzüge. Versuche, meine Gedanken und meinen Pulsschlag zu beruhigen.
Ich will nicht, dass mein Herz so schnell schlägt. Vor allem nicht, wenn ich an ihn denke. Nicht, wenn er solche Aussagen macht und sich um mich sorgt. Nein, ich will nicht, dass er überhaupt solche Dinge sagt. Er ist ein Dämon, gehört zu jenen Wesen, die von der Göttin verbannt wurden. Geboren aus dem verzehrenden Element Feuer leben diese Kreaturen, um alles andere zu vernichten. Wie kann sich
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