Sarg-Legenden
fest. Wir dürfen Bill nicht allein auf weiter Flur lassen. Ich werde Suko auch bitten, mich zu begleiten, wenn er will. Vielleicht fahren wir die Nacht dann durch, ich weiß es noch nicht genau. Jedenfalls lasse ich dir Buck O’Leary aus dem Haus schaffen.«
»Wenigstens ein Lichtblick.« Sheila faßte sich an die Stirn und schüttelte den Kopf. »Warum immer wir, John? Warum? Ist es ein Fluch? Ist es Schicksal?«
»Wahrscheinlich beides, Sheila.«
»Das bringt mich auch nicht weiter«, erwiderte sie leise…
***
Ein Fehltritt, und es war vorbei!
Harry Doyle rutschte mit dem rechten Fuß weg, sein Bein wurde dabei nach unten gezerrt, und gerade wie ein Lineal glitt auch der Oberkörper in die Tiefe. Er schlitterte über das feuchte Gras, das Harry keinen Halt bot – er mußte sowieso seine Ausrüstung festhalten –, dann landete er in diesem Loch.
Harry blieb zunächst hocken und fluchte leise vor sich hin. Dann tastete er sich ab. Seinen Knochen und den Instrumenten war nichts passiert. Der technische Kram war okay, denn das war am wichtigsten. Mit einem verstauchten Knöchel hätte er noch immer fotografieren können, aber wenn die Kamera demoliert gewesen wäre – nicht auszudenken. Da hätte er keine Beweise sammeln können.
Zum Glück war er nicht so tief gefallen und auch mehr gerutscht. Einen harten Aufprall hatte es nicht gegeben. Und das Loch, in dem er lag, erinnerte ihn an eine große Tüte, auf dessen Grund er in einer unnatürlichen Haltung hockte. Seine Hände umfaßten noch die Kamera, die sich vor seinem Bauch abmalte. Zum Glück war der Abend noch nicht hereingebrochen. Er hockte zwar auf dem Boden des Lochs, aber er konnte sehen und stellte fest, daß er praktisch in einem Grab lag, wie auch die anderen Toten hier auf dem Friedhof. Nur mit dem Unterschied, daß er noch am Leben war.
Harry Doyle ärgerte sich über seine Ungeschicklichkeit. Er hätte das verdammte Loch einfach sehen müssen. Es war ja keine verdeckte Fallgrube gewesen, aber nein, er war hineingerutscht wie ein Vollidiot. Und er mußte wieder raus.
Es würde nicht einfach werden, an den Seiten hochzuklettern, aber eine andere Möglichkeit gab es nicht. Das wollte er etwas später in Angriff nehmen und zunächst einmal auf dem Grund Sitzenbleiben und sich etwas ausruhen.
Mit einer Hand strich er über sein dünnes, strähniges, aber auch langes Haar. Es war dunkelbraun bis schwarz, und er kämmte die Strähnen nach hinten, obwohl das nicht viel brachte. Sie würden beim kleinsten Windstoß wieder zurück ins Gesicht geweht werden.
Überhaupt sah Doyle nicht so aus, wie man sich landläufig einen Fotografen vorstellte. Er war weder tough noch chic, noch cool. Er war auch alles andere als ein Frauentyp. Zu klein, zu schmal, zu dürr. Ein zu großer Kopf mit einem Gesicht, für das er sich früher immer geschämt hatte Die Kindheit war vorbei, jetzt hatte er sich an sein Gesicht gewöhnt. An die hohe Stirn, an die lange, leicht gekrümmte Nase, den breiten Mund mit den dünnen Lippen und an das fliehende Kinn. Doyle konnte sich jeden Tag dreimal rasieren, bei ihm brachte das nichts, zu schnell wuchsen die Barthaare nach, so daß auf seinen Wangen stets ein bläulich-schwarzer Schatten lag.
Der magere Hals war durch zahlreiche Furchen in der Haut gezeichnet. Seine Finger waren lang, und auf dem Handrücken wuchsen zahlreiche, dunkle Härchen. Noch dichter war der Haarwuchs auf Brust und Rücken. Eine Frau hatte ihn deshalb mal Affe genannt.
Aber er war ein As.
Das Leben war gerecht. Irgendwo gab es immer einen Ausgleich, auch bei Doyle, den sie den Irren nannten. Auf seinem Gebiet machte ihm so leicht niemand etwas vor. Er war ein Meister in der Handhabung der Kamera, aber er hatte auch ein Auge für die Motive. Genau das war nicht jedem gegeben. Bei erfolgreichen Fotografen im allgemeinen schon, doch Doyle war eben stolz auf sein ganz besonderes Auge.
Was er an Fotos heranschaffte, brachte ihm viel Geld. Früher hatte er als Paparazzo gearbeitet und sich seine ersten Sporen damit verdient. Er hatte die Promis >abgeschossen< und seine Fotos stets höchstbietend verkauft. Manche hatte er von den Promis selbst zurückkaufen lassen, doch die Kiste war ihm irgendwann zu heiß geworden, denn es gab Anwälte, die sich sehr stark um die Persönlichkeitsrechte dieser Leute kümmerten, und die konnten manchmal sehr eklig sein.
So hatte Doyle das Metier gewechselt. Er war zu einem >Brennpunkt-Mann< geworden. Er schoß dort
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