Saturn
spürte sie einen Anflug von Besorgnis. Vielleicht war
Eberly zu stark, zu sehr auf seine eigenen Belange bedacht und
zu machthungrig. Wir sind im Auftrag des Herrn unterwegs,
erinnerte sie sich. Wir streben Macht nicht für uns an, sondern
für die Erlösung dieser zehntausend verlorenen Seelen. Sie
fragte sich, ob Eberly auch dieser Überzeugung war.
Eigentlich war sie sich ziemlich sicher, dass das nicht der Fall
war. Allerdings hatten höhere Autoritäten als sie Eberly als
Anführer dieser Mission auserwählt. Sie hatte die Aufgabe,
ihn zu unterstützen ‒ und darauf zu achten, dass er nicht zu
weit von dem Pfad abwich, den die Neue Moralität und die
Heiligen Jünger ihm vorgeschrieben hatten.
Also ging Morgenthau neben ihm den Washington-Carver-
Weg entlang, der von Athen zum St.-Franciscus-Garten führte
und noch weiter über die flache Hügelkette mit dem
unstimmigen Namen Andenhügel bis zum Farmland der
Region Ohio. Sie hoffte inständig, dass Eberly nicht auf die
Idee käme, den ganzen Weg bis nach Kalifornien zu gehen, die
offene Region am Abschluss des Habitats. Die Füße taten ihr
jetzt schon weh.
»Sie sind so still heute«, sagte Eberly, während sie den
verschlungenen gepflasterten Pfad entlanggingen. Das waren
aber auch die ersten Worte, die er seit geraumer Zeit
gesprochen hatte.
Morgenthau spürte Schweißperlen auf der Stirn. »Ich bin nur
froh, dass man sich endlich auf die Namen geeinigt hat«, sagte
sie. »Sie haben das meisterhaft, geradezu brillant geregelt.«
Er gestattete sich ein sarkastisches Lächeln. »Aber nur unter
der Voraussetzung, dass das wirkliche Wahlergebnis
annulliert wurde.«
»Hundertprozentig«, versicherte sie.
»Und dass niemand außerhalb unseres inneren Kreises weiß,
wie die Namen ausgewählt wurden.«
»Kein Einziger.«
»Auch Holly nicht? Sie ist ein helles Köpfchen, müssen Sie
wissen.«
Morgenthau bestätigte mit einem Kopfnicken. »Sie fragte,
weshalb die Stimmen annulliert würden. Nachdem ich ihr
aber gesagt hatte, dass es Ihre Entscheidung war, hat sie es
akzeptiert.«
Eberly nickte. »Früher oder später werde ich mit ihr wohl ins
Bett steigen müssen. Das wird ihre Loyalität festigen.«
Morgenthau schaute ihn schockiert und mit offenem Mund
an. »Sie ist auch so schon loyal genug. Es besteht keine
Notwendigkeit…«
Er fiel ihr ins Wort. »Unsere nächsten Schritte werden ihr
immer weniger gefallen. Ich werde eine persönliche
Verbundenheit mit ihr herstellen müssen. Sonst wird sie
vielleicht noch widerspenstig oder lehnt sich sogar gegen uns
auf.«
»Aber mit ihr ins Bett gehen. Das ist sündig!«
»Es ist für eine gottgefällige Sache. Wir müssen alle bereit
sein, Opfer zu bringen.«
Sie hörte den Sarkasmus in seiner Stimme. »Wenigstens ist
sie recht attraktiv.«
»Jedoch etwas zu dunkel für meinen Geschmack«, sagte
Eberly so beiläufig, als ob er über seine modischen oder
kulinarischen Vorlieben spräche. »Ich bevorzuge Blondinen
mit einer volleren Figur.«
Morgenthau spürte, dass sie errötete. Und doch… Ob er nur
mit mir spielt, fragte sie sich. Ob er mir auf den Zahn fühlt? Sie
hatte jedenfalls keine Lust, dieses Thema zu vertiefen. Sie
machte sich keine Illusionen wegen ihrer Reize und hatte auch
keine besonderen Vorlieben.
»Sie haben mich doch nicht zu diesem Spaziergang
eingeladen, um mit mir Ihre Liebesdinge zu erörtern, nicht
wahr?«
»Nein«, erwiderte er ernst. »Wohl kaum.«
»Was dann?«
Ohne den gemächlichen Schritt zu ändern, schaute Eberly zu
den Laternenpfählen und den dort montierten Miniatur-
Kameras hoch. Dann ließ er den Blick über das grüne und mit
Blumen übersäte Parkland schweifen, das sich um sie herum
ausdehnte.
»Büros können zu leicht verwanzt werden. Es gibt immer
neugierige Augen und Ohren.«
Das leuchtete ihr ein. »Und so sieht es aus, als ob wir uns nur
etwas Bewegung verschafften.«
Er nickte. »Genau.«
Morgenthau war sich bewusst, dass ihr gemeinsamer
Spaziergang womöglich Anlass zu Spekulationen bot ‒
obwohl kaum jemand annehmen würde, dass sie sich für
Eberly interessierte oder in körperlicher Hinsicht anziehend
auf ihn wirkte. Sie wirkte auf gar keinen Mann anziehend,
davon abgesehen. Morgenthau wusste, dass jeder sie für einen
kleinen, ungepflegten und übergewichtigen Trampel hielt.
Niemand fühlt sich durch mich bedroht. Wenn die wüssten!
»Früher oder später werden wir uns mit Wilmot
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