Saturn
Anfrage hat der Vorstand eine
sorgfältige Folgenabschätzung bezüglich der menschlichen
Exploration des Saturnmondes Titan durchgeführt. Nach einer
Prüfung durch den Astrobiologischen und Planetenschutz-
Ausschuss der Internationalen Astronautenbehörde ist
einstimmig entschieden worden, dass eine menschliche
Exkursion zur Oberfläche von Titan strengstens verboten
wird.
Der Schutz der eingeborenen Lebensformen des Titan hat
Vorrang vor allen anderen Zielen, einschließlich der
wissenschaftlichen Forschung. Die robotische Exploration der
Titanoberfläche wird erlaubt, jedoch nur unter der
Voraussetzung, dass die geltenden Dekontaminations-
Prozeduren für den Planetenschutz strikt eingehalten werden.
H. Harvey Haddix
Vorstandsvorsitzender der IAA Rev. Calypso J. C. Abernathy
Imprimatur
288 Tage bis zur Ankunft
Ruth Morgenthau hasste diese Spaziergänge in der Natur, auf
denen Eberly bestand. Er ist total paranoid, sagte sie sich,
während sie widerwillig den Pfad entlang trottete, der von
Dorf A zu den Gärten führte. Er befürchtet, dass irgend
jemand sein Apartment verwanzt hat, so wie wir es mit allen
anderen gemacht haben.
Aber es heißt gar nicht mehr Dorf A, erinnerte sie sich. Es
heißt nun Athen. Und der Garten trägt die offizielle
Bezeichnung ›Refugium des Heiligen Franz von Assisk‹.
Morgenthau hätte fast gekichert. Was für ein Name! Wie sie
sich gezofft hatten ‒ sie, Vyborg und Kananga. Selbst der sonst
so gemäßigte und zurückhaltende Jaansen hatte die Stimme
erhoben, als es um die Benennung der verschiedenen
Laborgebäude des Habitats ging.
Die monatelange Kampagne für die Benennung der
Ortschaften, Gebäude und Landmarken des Habitats war im
Grunde genommen eine Farce gewesen. Jede Stimme hatte
einen Streufaktor, der fast größer war als die Anzahl der
abgegebenen Stimmen. Jeder im Habitat hatte eine eigene
Meinung zur Namensgebung, so dass es kaum zwei
einheitliche Stimmen gab. Es war ein einziges Chaos, für das
Eberly eine großartige Lösung parat hatte.
»Weil die Wähler keine eindeutigen Ergebnisse produziert
haben«, sagte er dem inneren Kreis seiner Vertrauten, »werden
wir die Entscheidung selbst treffen müssen.«
Also stritten die vier sich: Kananga bestand darauf, dass
afrikanische Namen die gleiche Quote wie europäische und
asiatische bekamen, Vyborg plädierte für Namen, die starke
psychologische Konnotationen in der Bevölkerung hatten und
Jaansen versuchte ‒ manchmal hartnäckig ‒ eine Liste mit
Namen berühmter Wissenschaftler durchzusetzen. Eberly
hatte sich aus dem Streit herausgehalten und ihn mit kaltem
Abscheu verfolgt. Überhaupt ließ die ganze Sache Morgenthau
kalt; es war ihr piepegal, welche Namen ausgewählt wurden,
solange sie nicht allzu säkular waren. Ihre Zustimmung, den
biologischen Komplex nach Charles Darwin zu benennen,
hatte sie natürlich verweigert.
Am Ende schlichtete Eberly die meisten Streitigkeiten. Und
wenn keine Einigung möglich war, traf eben er die
Entscheidung. Wenn eine Auseinandersetzung gar zu lang
dauerte, schritt er ein und sagte den Beteiligten, dass sie sich
nicht wie Kinder benehmen sollten. Morgenthau beobachtete
ihn jedoch aufmerksam, und er wusste das auch.
Dorf A erhielt einen europäischen Namen, und Dorf B ging
an die Asiaten: Bangkok. Aus Dorf C wurde Cairo, aus D
wurde Delhi und E wurde auf den Namen Entebbe getauft.
Die Amerikaner ‒ Norden und Süden ‒ beklagten sich
bitterlich, doch Eberly brachte sie mit der feierlichen
Verkündung zum Schweigen, dass dies die Namen seien, für
die die Bewohner des Habitats sich entschieden hatten. Dann
wies er noch darauf hin, dass die Amerikaner auch nur eine
Minderheit in der Bevölkerung des Habitats seien.
Weil es sich um eine geheime Abstimmung handelte, ließ
Eberly keine erneute Auszählung der Stimmen zu. In einer
effektvollen Demonstration scheinbarer Unparteilichkeit
erklärte er alle Stimmen für ungültig ‒ »damit niemand sie zu
manipulieren oder in Zukunft damit Zwietracht zu säen
vermag«, verkündete er.
Ein paar Leute murrten zwar, doch im Großen und Ganzen
akzeptierten die Menschen die Namen, für die die Wähler sich
angeblich entschieden hatten. Eberly sorgte dafür, dass viele
Gebäude und Landmarken mit angloamerikanischen und
lateinamerikanischen Namen versehen wurden, um es auch
allen recht zu machen.
Morgenthau fand, dass es eine Meisterleistung war. Und
doch
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