Saturn
leuchtende Mond wanderte ins Blickfeld.
Pancho erkannte die Laser-Boje, die den Gipfel von Mt. Yeager
markierte ‒ direkt oberhalb von Selene, nicht allzu weit von
ihrem Schlafzimmer entfernt.
Sie tut es wirklich, sagte Pancho sich verdrießlich. Sie macht
sich wirklich in diesem zusammengedengelten Blecheimer
vom Acker, nur um sich so weit wie möglich von mir zu
entfernen. Ich habe ihr das Leben gerettet, habe mir den Arsch
aufgerissen, um ihre Arztrechnungen zu bezahlen, die
Kryonik und den ganzen Kram. Ich habe sie wie ein Baby
gefüttert, ihr die einfachsten Verrichtungen wieder
beigebracht und ihr den verschissenen Hintern abgewischt.
Und nun macht sie sich auf ins schwarze Unbekannte. Das
nenne ich Dankbarkeit. Das ist wahre Schwesternliebe.
Dennoch verspürte sie keinen echten Zorn. Sie wusste, dass
Susie sich von ihr lösen und ein eigenes Leben beginnen
musste. Sie muss unabhängig werden. Jedes Kind muss früher
oder später auf eigenen Füßen stehen. Teufel, ich habe doch
genauso gehandelt, als Susie noch ein Kind war.
Nein ‒ sie war keine Susie mehr, erinnerte sie sich. Sie nennt
sich nun Holly. Daran muss ich denken, wenn ich sie anrufe.
Holly.
Falls sie in Schwierigkeiten gerät, werde ich ein
Rettungsschiff aussenden, um sie nach Hause zu holen. Sie
muss nur einen Ton sagen. Ich werde selbst zu ihr fliegen,
wenn es sein muss.
Die holografische Abbildung von Goddard verblasste und
wich einem lebensgroßen Bild von Professor Wilmot. Pancho,
die vom Bett aus zuschaute, hatte den Eindruck, als ob der
Kopf und die Schultern des Mannes mitten im Schlafzimmer
schwebten.
»Heute begeben wir uns auf eine einmalige Entdeckungs-
und Forschungsreise«, hob Wilmot langsam mit sonorer
Stimme an.
»Bla, bla, bla«, murmelte Pancho. Sie stellte den Ton mit
einem Sprachbefehl ab und befahl dem Telefon, sie mit ihrem
Sicherheitschef zu verbinden. Ich hoffe nur, dass Wendell eine
kompetente Person abgestellt hat, ein Auge auf mein
Schwesterherz zu halten. Wenn nicht, werde ich ihm einen
kräftigen Tritt in den Arsch geben, egal wie gut er im Bett ist.
»Vyborg ist eine Bereicherung für unseren Kader«, sagte
Morgenthau, während sie neben Eberly zum Dorf am See
zurückwatschelte.
Eberly berührte einen leuchtenden Königsschmetterling, der
ihm vorwitzig vorm Gesicht herumflatterte. »Er ist ehrgeizig,
das steht schon mal fest.«
»Ehrgeiz ist doch nichts Schlimmes«, sagte Morgenthau.
»Solang er Befehle ausführt.«
»Das wird er, da bin ich mir sicher.«
Innerlich hatte Eberly seine Zweifel. Aber ich muss eben mit
dem verfügbaren Material arbeiten, sagte er sich. Morgenthau
hat praktisch keine Ambitionen und kein Bedürfnis, im
Rampenlicht zu stehen. Das macht sie zum perfekten
Handlanger. Mit Vyborg ist das etwas anderes. Ich werde gut
auf ihn aufpassen müssen. Und auf meinen Rücken.
»Information ist der Schlüssel zur Macht«, sagte er zu
Morgenthau. »Mit Vyborg in der Kommunikation werden wir
Zugang zu allen Überwachungskameras im Habitat haben.«
»Und er könnte uns auch dabei helfen, die Telefone
anzuzapfen«, ergänzte Morgenthau.
»Ich will mehr. Ich will, dass in jedem Apartment
Überwachungskameras installiert werden. Natürlich geheim.«
»In jedem Apartment? Das ist… eine gewaltige Aufgabe.«
»Dann finden Sie einen Weg, sie zu lösen«, sagte Eberly
schroff.
Holly versuchte nicht zu rennen, denn so aufgeregt wollte sie
nun auch wieder nicht erscheinen; doch je näher sie Eberly
und Morgenthau kam, desto schneller ging sie.
Sie fragte sich, wieso Malcolm überhaupt die Gesellschaft
von Morgenthau gesucht hatte. Sie macht doch wirklich nicht
viel her. Holly kicherte innerlich. Nein, eigentlich macht sie zu
viel her. Sie ist ausstaffiert, als ob sie auf eine Punker-Party
gehen wollte. Sie wäre auch ganz hübsch, wenn sie mal so
zwanzig bis dreißig Kilo abnehmen würde.
Eberly schaute auf und erkannte sie.
»Malcolm!«, rief Holly und verlangsamte den Schritt.
»Kommen Sie! Die Zeremonie hat schon angefangen. Sie
werden noch alles verpassen!«
»Dann werde ich es eben verpassen«, sagte Eberly kurz
angebunden. »Ich habe zu tun. Ich kann meine Zeit nicht mit
irgendwelchen Zeremonien verschwenden.«
Sprach's und ging an ihr vorbei, die Morgenthau im
Schlepptau. Holly stand mit offenem Mund da und kämpfte
verzweifelt gegen die Tränen an.
Start
Kaum jemand an Bord der Goddard wusste von der ›Brücke‹.
Das
Weitere Kostenlose Bücher