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Saturn

Saturn

Titel: Saturn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Bova
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hinunterrollte.
    Junge Laubbäume tauchten den Pfad in gesprenkelten
    Schatten. Susan hörte in den Büschen Insekten summen und
    Vögel zwitschern. Eine komplette Ökologie, die sorgfältig
    eingerichtet und gewartet wurde. Beim Anblick der Wiese und
    der Gruppen größerer Bäume, die weiter entfernt den sanft
    geschwungenen Pfad säumten, vermochte sie kaum zu
    glauben, dass sie sich im Innern eines riesigen, von
    Menschenhand geschaffenen Zylinders befanden, der ein paar
    Hundert Kilometer über der Mondoberfläche im Weltraum
    hing. Bis sie nach oben schaute und sah, dass das Land über
    ihr wie eine geschlossene Kuppel sich wölbte.
    »Holly?«
    Ihre Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf Eberly. »Ich…
    es tut mir Leid«, stammelte sie verlegen. »Ich war wohl in
    Gedanken.«
    Er nickte, als ob er ihre Entschuldigung annähme. »Ja, ich
    habe schon ganz vergessen, wie schön es hier ist. Sie haben
    völlig Recht; niemand von uns sollte das als selbstverständlich
    betrachten.«
    »Was hatten Sie noch gesagt?«, fragte sie.
    »Es war nicht so wichtig.« Er hob den Arm und machte eine
    dramatisch ausladende Geste. »Das hier ist wichtig, Holly.
    Diese Welt, die ihr für euch erschaffen werdet.«
    Mein Name ist nun Holly, erinnerte sie sich. Wenn du dich
    an alles andere erinnerst, was du erlebst, kannst du dich auch
    an einen neuen Namen erinnern, verdammt.
    Dennoch fragte sie: »Wieso wollten Sie, dass ich meinen
    Namen ändere?«
    Eberly neigte nachdenklich den Kopf. »Ich habe jedem neuen
    Rekruten vorschlagen, seinen Namen zu ändern. Sie betreten
    eine neue Welt und beginnen ein neues Leben. Da ist ein neuer
    Name doch nur folgerichtig, meinen Sie nicht auch?«
    »Na klar! Sicher.«
    »Trotzdem«, seufzte er, »befolgen nur sehr wenige meinen
    Vorschlag. Sie klammern sich an die Vergangenheit.«
    »Es ist wie eine Taufe, nicht wahr?«, sagte Holly.
    Er schaute sie an, und sie sah etwas wie Respekt in seinen
    stechenden blauen Augen. »Ja, wie eine Taufe. Wie eine
    Wiedergeburt. Der Beginn eines neuen Lebens.«
    »Das wird dann schon mein drittes Leben sein«, sagte sie zu
    ihm.
    Eberly nickte.
    »An mein erstes Leben erinnere ich mich gar nicht«, sagte
    Holly. »In der Erinnerung fängt mein Leben erst vor sieben
    Jahren an.«
    »Nein«, sagte Eberly bestimmt. »Ihr Leben begann vor zwei
    Wochen, als Sie hier ankamen.«
    »Ja sicher, richtig.«
    »Und deshalb haben Sie auch ihren Namen geändert, nicht
    wahr?«
    »Richtig«, wiederholte sie. Er nimmt alles so verdammt
    ernst, sagte sie sich. Ich wünschte, ich könnte ihm einmal ein
    Lächeln entlocken.
    Eberly blieb stehen und drehte sich langsam im Kreis. Dabei
    nahm er die Welt in sich auf, die sich um sie herum erstreckte
    und über ihren Köpfen zu einer Kuppel wölbte.
    »Ich wurde in ärmlichsten Verhältnissen geboren«, sagte er
    mit leiser Stimme, die beinahe ein Flüstern war. »Ich war eine
    Frühgeburt, und die Ärzte räumten mir kaum eine
    Überlebenschance ein. Mein Vater verließ uns, als ich noch ein
    Baby war, und meine Mutter ließ sich dann mit einem
    mexikanischen Wanderarbeiter ein. Er wünschte mir den Tod.
    Ohne die Neue Moralität wäre ich kein halbes Jahr alt
    geworden. Sie brachten mich in ihr Krankenhaus und
    ermöglichten mir eine Schulbildung. Sie haben meinen Körper
    und meine Seele gerettet.«
    »Das freut mich für Sie«, sagte Holly.
    »Die Neue Moralität hat Amerika gerettet«, legte Eberly dar.
    »Als durch den Treibhaus-Effekt die Küstengebiete überflutet
    wurden und die Hungeraufstände ausbrachen, war es die
    Neue Moralität, die Ordnung und Sitte in unser Leben
    zurückgebracht hat.«
    »Ich erinnere mich nicht an die Staaten«, sagte sie. »Nur an
    Selene. An sonst nichts.«
    »Sie scheinen allerdings keine Schwierigkeiten zu haben, sich
    an alles zu erinnern, was seitdem geschehen ist. Ich habe noch
    niemanden mit einem so präzisen Gedächtnis gesehen.«
    »Das liegt nur an den RNA-Behandlungen, denen ich
    unterzogen wurde«, erwiderte Holly mit einem beiläufigen
    Achselzucken.
    »Ach ja, natürlich.« Er ging langsam weiter. »Also, Holly, da
    wären wir nun. Wir beide. Und noch zehntausend andere.«
    »Neuntausendneunhundertachtundneunzig«, korrigierte sie
    ihn mit einem verschmitzten Lächeln.
    Er neigte in Anerkennung ihrer Rechenkünste leicht den
    Kopf. Er wirkte völlig ernst und hatte ihren Humor überhaupt
    nicht erkannt.
    »Sie haben die einmalige Gelegenheit, hier eine neue Welt

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