Saturn
dort abholen,
wenn wir durch den Gürtel fliegen. Ich habe den Flugplan
kontrolliert; wir werden im Abstand von einem Tagesflug an
Ceres vorbeikommen. Sie könnte doch in einem Schiff mit
Fusionsantrieb zu uns fliegen, kein Problem. Ich könnte meine
Schwester bitten, einen Flugplan für sie zu erstellen, hundert
Pro.«
Eberly strich sich übers Kinn. »Wir haben zwar schon eine
vollständige Besatzung, aber ich glaube, für jemanden von Dr.
Cardenas' Kaliber haben wir immer Platz.«
»Falls Wilmot zustimmt«, sagte Morgenthau.
»Wilmot«, sagte Eberly fast spöttisch. »Ich treffe die
Entscheidungen im Personalbereich, nicht Wilmot.«
»Aber bei einer Sache wie dieser…«
»Ich werde mich darum kümmern«, insistierte er. An Holly
gewandt sagte er: »Sagen Sie Dr. Cardenas, dass ich dies gern
mit ihr persönlich besprechen würde.«
»Kosmisch!«, platzte Holly heraus.
Sie wollte sich gerade umdrehen und zum Personalbüro
zurückgehen, als Eberly sie am Handgelenk festhielt.
»Oberst Kananga haben Sie noch nicht kennen gelernt, nicht
wahr?«
Der schwarze Mann stand auf wie ein zusammengelegtes
Stativ, das nun ausgeklappt wurde. Er war fast zwei Meter
groß, einen ganzen Kopf größer als Holly.
»Unser Sicherheitschef, Oberst Leo Kananga aus Ruanda«,
sagte Eberly. »Holly Lane aus Selene.«
Kananga streckte die Hand aus. Holly ergriff sie. Seine
langen Finger fühlten sich kalt und trocken an. Sein Griff war
kraftvoll, fast schmerzhaft.
Kananga lächelte sie an, aber es war keine Wärme darin.
Eher das Gegenteil. Holly lief es eiskalt den Rücken hinunter.
Es war wie der Anblick eines Totenkopfes.
145 Tage nach dem Start
Als sie die Treppe zum Dachstuhl des Verwaltungsgebäudes
erklomm, fragte Holly sich, wieso Eberly sie ausgerechnet ins
Dachgeschoss zitiert hatte. Sie trat durch die Metalltür und
hielt Ausschau nach ihm. Es war aber niemand außer ihr hier.
Sie näherte sich der Dachkante bis auf zwei Schritte und
drehte sich im Kreis. Sie war allein.
Er ist doch sonst immer so pünktlich, sagte sie sich. Wieso ist
er denn jetzt nicht hier?
Dann wurde sie sich bewusst, dass sie über eine Minute zu
früh dran war, und sie entspannte sich etwas. Er wird schon
noch kommen, sagte sie sich, pünktlich auf die Sekunde.
Beim Blick aus dem zweiten Stock sah Holly die anderen
flachen Gebäude des Dorfes weiß im Sonnenlicht leuchten.
Der lange Schlitz des Sonnenfensters über ihr war so grell,
dass sie nur einen kurzen Blick darauf zu werfen vermochte.
Und selbst dann brannte ihr das Nachglühen noch in den
Augen.
Es ist alles in Ordnung, sagte Holly sich. Das Habitat
funktioniert reibungslos, und jeder tut seine Arbeit, die ihm
zugewiesen wurde. Vor ein paar Tagen gab es zwar Probleme
mit einem der Sonnenspiegel, aber die Wartungs-Crew ist in
Raumanzügen ausgestiegen und hat ihn repariert. Nun drehte
er sich wieder ordnungsgemäß und sorgte dafür, dass
Sonnenlicht durch die langen Fenster strömte, während das
Habitat sich um seine Achse drehte.
Wir brauchen Sonnenlicht wie die Luft zum Atmen, sagte
Holly sich. Wo auch immer wir hingehen, wie weit auch
immer von der Erde wir uns entfernen, menschliche Wesen
brauchen Sonnenschein. Es ist mehr als schlichte Biologie,
mehr als das Bedürfnis nach Grünpflanzen am Anfang der
Nahrungskette. Sonnenlicht macht uns glücklich und vertreibt
Depressionen. Muss schrecklich sein auf der Erde, wenn es
bewölkt und stürmisch ist und sie die Sonne tagelang nicht
sehen. Kein Wunder, dass die Flachländer leicht verrückt sind.
Sie schaute wieder auf die Uhr. Er wird schon kommen,
sagte sie sich. Er ist bisher immer pünktlich gewesen. Aber
wieso hat er mich gerade hierher bestellt? Nur wir beide. Sie
verspürte einen Anflug nervöser Erregung. Nur wir beide.
Vielleicht empfindet er das für mich, was ich auch für ihn
empfinde. Vielleicht nur ein bisschen, aber…
»Da sind Sie ja schon.«
Sie wirbelte herum und richtete den Blick auf Eberly, der
über den rutschsicheren Bodenbelag des Dachbodens langsam
auf sie zukam. Er ist wirklich stattlich, sagte sie sich. So voller
Energie. Aber er solle sich besser kleiden, sagte Holly sich
beim Anblick der labbrigen grauen Hose und des noch
dunkleren formlosen Gewandes, das ihm eine Nummer oder
so zu groß um die Schultern hing.
»Ich wollte mich einmal außerhalb des Büros mit Ihnen
unterhalten«, sagte er und blieb eine Armlänge von ihr
entfernt
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