Saturn
war
kein besonderes Problem. Wenn der Mann eine Rede halten
will, was soll's?
Deshalb war er leicht vergrätzt, als mitten in einem seiner
Lieblings-Videos, Geheimnisse der Sternenkammer, das Telefon
klingelte. Beim Blick aufs Display des Telefons sah er, dass ein
kleiner Assistent anrief. Mit einem echauffierten Schnaufen
blendete Wilmot die holografische Abbildung aus und öffnete
den Telefon-Kanal.
Bernard Isaacs' Gesicht erschien in der Luft: Das runde,
pausbäckige und von dichtem Lockenhaar gekrönte Gesicht
schien gerötet ‒ entweder vor Aufregung oder vielleicht auch
vor Sorge.
»Haben Sie seine Rede gehört?«, fragte Isaacs dringlich.
»Wessen Rede? Meinen Sie Eberly und seine blöden
Wettbewerbe?«
»Es geht um mehr als nur um Wettbewerbe. Er will die
Protokolle zerreißen und eine neue Verfassung aufsetzen, eine
neue Regierung bilden!«
Wilmot nickte und fragte sich, wo das Problem lag. »Ja, ich
weiß, wenn wir den Saturn erreichen. So sieht unser Plan
das…«
»Nein!«, unterbrach Isaacs ihn. »Jetzt schon! Er sagt ihnen,
dass sie es jetzt schon tun sollten.«
»Wem sagt er das?«
»Jedem, der ihm zuhört!«
»Das geht nicht«, sagte Wilmot seelenruhig. »Alle haben die
Vereinbarung unterzeichnet, sich an unsere Protokolle zu
halten, bis wir mit dem Habitat in einen sicheren Orbit um den
Saturn gegangen sind.«
»Aber er will es jetzt schon tun!«, wiederholte Isaacs, wobei
seine Stimme sich um eine halbe Oktave hob.
Wilmot hob die Hand. »Das ist nicht möglich, und er weiß
das auch.«
»Aber…«
»Ich werde mich einmal mit ihm unterhalten müssen und
sehen, was er eigentlich vorhat. Möglicherweise haben Sie
seine Absicht missverstanden.«
Isaacs schob stur das runde Kinn vor. »Ich werde Ihnen eine
Videoaufnahme seiner Rede schickten. Dann sehen Sie selbst,
was er vorhat.«
»Tun Sie das«, sagte Wilmot. »Vielen Dank, dass Sie mich
informiert haben.«
Er unterbrach die Telefonverbindung und sah, wie die rote
Aufnahme-Lampe aufleuchtete. Isaacs sendete Eberlys
Ansprache. Wilmot runzelte die Stirn. Isaacs ist eigentlich
nicht der Typ, der sich grundlos aufregt; zumindest ist er es
bisher nicht gewesen. Was ihn wohl so beunruhigt hat?
Wilmot beschloss, sich Eberlys Ansprache anzuschauen.
Aber nicht, bevor er das Video zu Ende gesehen hatte, das
zeigte, mit welchen Mitteln Heinrich VIII. Geständnisse von
seinen Untertanen erzwang.
Zwei Stunden später‒ nachdem er sich Eberlys Rede ein
paarmal angeschaut und sich noch einen ordentlichen Whisky
eingeschenkt hatte ‒ lehnte Wilmot sich in seinem
Lieblingssessel zurück. Ein eigentümliches Lächeln spielte um
die Mundwinkel.
Nun geht es endlich los, sagte er sich. Das Experiment wird
interessant. Anfangs befürchtete ich, dass sie alle Anarchisten
und Unruhestifter wären, doch bisher haben sie sich ganz
manierlich benommen und keinerlei Anzeichen von Rebellion
oder Unbotmäßigkeit an den Tag gelegt. Wahrscheinlich
gewöhnen sich schon alle an ihre neue Welt und passen sich
ans Leben im Habitat an. Ich vermute, dass die meisten es
noch nie so gut gehabt haben. Aber dieser Eberly will sie ein
wenig aufstacheln. Sehr gut.
Faszinierend. Eberly erlässt diese doofe Kleiderordnung, und
niemand beschwert sich darüber. Die Leute ignorieren sie
entweder oder verzieren ihre Kleidung mit Schals und
Schärpen. Sie werden sich nicht an der Nase herumführen
lassen, das steht schon mal fest.
Aber Eberly will sie anscheinend kontrollieren. Ich frage
mich, was ihn dazu bewogen hat. Höchstwahrscheinlich war
es die kleine Rüge, die ich ihm wegen dieser Cardenas erteilt
habe. Anstatt sich der Autorität zu beugen oder zu schmollen,
wird er nun zum Agitator. Faszinierend. Stellt sich weiter die
Frage, was die Bevölkerung tun wird? Er hat zwar nur eine
kleine Zuhörerschaft gehabt, doch morgen früh bei
Arbeitsbeginn wird das ganze Habitat über seine Rede
Bescheid wissen. Wie werden die Leute wohl reagieren?
Und noch wichtiger, wie soll ich darauf reagieren, fragte er
sich. Seinem Treiben ein Ende bereiten? Oder mich auf sein
Spiel einlassen?
Wilmot schüttelte den Kopf. Weder noch, beschloss er. Ich
darf dieses Experiment nicht durch Vorurteile beeinflussen.
Aber es ist auch nicht leicht, sich herauszuhalten. Ich kann
nicht einfach verschwinden; ich muss eine Rolle spielen. Aber
ich darf auch nicht zulassen, dass der Alltagsbetrieb dadurch
beeinträchtigt wird.
Natürlich
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