Saturn
Politik.«
Farabi schaute ihn ungläubig an. »Wie du meinst«, sagte er
leise.
Timoschenko richtete die Aufmerksamkeit auf die
leuchtenden Symbole, die über seine Konsole verteilt waren.
Wieso können Menschen sich nicht so vorhersehbar verhalten
wie Maschinen?, fragte er sich. Wieso machen die Leute nicht
einfach ihre Arbeit und lassen mich in Ruhe?
»Ich glaube schon«, sagte Farabi, der an der nächsten
Konsole saß, »dass Eberly ein paar interessante Fragen gestellt
hat. Wir sollten an der Verwaltung des Habitats beteiligt
werden. Es ist schließlich unsere Heimat, nicht wahr?«
Timoschenko wischte sich den Schweiß von der Stirn und
unterdrückte die Antwort, die ihm auf der Zunge lag. Das ist
keine Heimat, wollte er sagen, sondern ein Gefängnis. Egal,
wie bequem es ist, es ist ein Gefängnis, und ich werde für den
Rest meines Lebens darin eingesperrt sein, während du die
Freiheit hast, zur Erde zurückzukehren, nachdem wir den
Saturn erreicht haben.
»Ich interessiere mich nicht für Politik«, sagte er stattdessen
nur.
»Vielleicht solltest du dich dafür interessieren.«
»Politiker.« Er spie das Wort förmlich aus. »Sie sind doch alle
gleich. Sie wollen nur den Chef spielen und dich nach ihrer
Pfeife tanzen lassen. Ich will mit ihnen nichts zu tun haben.«
Nadia Wunderly war einer der wenigen Menschen im Habitat,
die Eberlys Empfehlung gefolgt waren und ihren Namen
geändert hatten. Ihre Eltern, bodenständige Milchbauern aus
New Hampshire, hatten sie auf den Namen Jane getauft, aber
sie war immer der Ansicht gewesen, dass dieser biedere Name
nicht zu der Abenteurerin passte, die sie im Geiste war.
Während der ganzen Schulzeit hatte ihr das Etikett ›Biedere
Jane‹ angehängt; sie hasste diesen Namen, obwohl sie beim
Blick in den Spiegel schon zugeben musste, dass sie recht
bieder wirkte. Sie hatte eine Neigung zur Dicklichkeit, der sie
nur durch gnadenlosen Sport und asketisches Fasten
entgegenzuwirken vermochte. Das Gesicht war auch rund,
doch ihre großen grauen Augen hielt sie für attraktiv.
Eulenaugen, sagte sie sich und erinnerte sich daran, dass die
Göttin Athene auch Eulenaugen gehabt hatte.
Wunderly experimentierte mit immer neuen Frisuren, um ihr
dünnes, glattes Mäusehaar aufzupeppen. Als sie als Mitglied
des Wissenschafts-Teams an Bord des Habitats kam, färbte sie
sich das Haar sofort feuerrot und setzte sich das Ziel, bis zum
Erreichen des Saturns zehn Kilo abzunehmen. Dann änderte
sie noch ihren Namen in die rauchige, exotisch klingende
Nadia.
Während sie in den Morgennachrichten die Aufzeichnung
von Eberlys Rede anschaute, fragte sie sich, was der Mann
eigentlich vorhatte. Wir haben doch schon eine Regierung,
oder?, fragte sie sich, während sie ihre Frühstücksflocken in
Sojamilch löffelte. Und wir alle wissen doch, weshalb wir zum
Saturn fliegen: um den Planeten und seine Monde zu
studieren, die Lebensformen und die Ringe. Diese
wunderschönen Ringe. Dies ist eine rein wissenschaftliche
Mission. Begreift Eberly das denn nicht?
Sie kleidete sich mit dem korrekten Gewand und der Hose
und schnappte sich eins der Elektro-Fahrräder, die in den
Ständern am Eingang des Wohngebäudes standen. Sie war
spät dran, sagte sie sich und holte deshalb das Letzte aus dem
lautlosen Elektromotor des Zweirads raus, während sie auf
dem gewundenen Pfad zu den Wissenschafts-Büros auf dem
Hügel fuhr. Auf dem Rückweg werde ich aber in die Pedale
treten, sagte sie sich. Dadurch lade ich die Batterie auf und
verbrenne gleichzeitig noch ein paar Kalorien.
Nadia grüßte alle, während sie durch die Korridore zu ihrem
Arbeitsplatz eilte. Dabei handelte es sich um eine Kammer, die
kaum groß genug war, um einen Schreibtisch, Stuhl und ein
paar Aktenregale darin unterzubringen. Sie sah Dr. Urbain
vorbeieilen; er war zu schnell wieder weg, als dass sie mit ihm
Blickkontakt herzustellen vermocht hätte. Später, sagte sie
sich. Wenn ich das Konzept ausgearbeitet habe, werde ich es
ihm zeigen.
Sie begab sich an die Ausarbeitung des Projekts. Urbain
verlangte von jedem Wissenschaftler seines Stabes einen
umfassend dokumentierten Forschungsplan. Die anderen
brannten darauf, Titan und die dort lebenden Organismen zu
studieren. Sie wetteiferten miteinander wie graduierte
Studenten, die eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter zu
ergattern versuchten. Damit hatte Nadia kein Problem. Sie
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