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Saugfest

Saugfest

Titel: Saugfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffi Wolff
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natürlich ohne das Hinzuziehen von Kinderarbeit hergestellt worden war. Sie trank Matetee aus einer selbstgetöpferten, unförmigen Tasse, auf der
Auch du bist die Dritte Welt
stand.
    Friederike sagte erst mal nichts, bot mir auch keinen Platz an, sondern beobachtete mich stumm, was mich nicht unsicher, sondern hochgradig aggressiv machte. Dann gab sie ein »Ts, ts, ts« von sich und blätterte in meiner Akte. Irgendwann kam ganz langsam und bedächtig: »Wie konnte es zu diesen Delikten kommen? Hatten Sie Probleme in Ihrer Kindheit? Fühlten Sie sich nicht geliebt?«, und da lief ich zur Hochform auf. Erstens mal ging es die Tante absolut gar nichts an, ob ich mich geliebt fühlte oder nicht, und zweitens mal wollte ich sie aus der Fassung bringen. Also fing ich an zu zittern und hilfesuchende Bewegungen zu machen, ähnlich denen einer Altenheimbewohnerin, die ihre Zeitung verlegt hat, sie nicht mehr wiederfindet und sich darüber aufregt, weil sie »ganz sicher dort gelegen hat«.
    »Es ist alles ganz schrecklich«, stammelte ich und sprach dann erst mal nicht weiter, um Friederike die Möglichkeit zu geben, mich zu trösten, was sie auch tat.
    Dann sagte ich: »Meine Mutter hat meinen Opa so sehr geliebt. Als er gestorben war, da … o Gott, ich halte es nicht aus.« Was
eine glatte Lüge war, meine Mutter und ihr Vater haben sich überhaupt nicht verstanden, was an der ewigen Fragerei meiner Mutter lag, das konnte Opa nicht verkraften; vor fünf Jahren hat er sich das Leben genommen. Aber das ist eine andere Geschichte.
    »Pscht, pscht«, machte Friederike besorgt. »Das kriegen wir schon wieder hin.« Ihre Stimme hatte die typische Tonlage eines Grünwählers, so ein bisschen gepresst und langgezogen. »Ich glaube, wir sollten gemeinsam über eine Klangschalentherapie nachdenken«, sülzte sie weiter herum, und ich sah mich vor meinem geistigen Auge schon mit einer Gruppe sozial Gestrauchelter in einem Therapieraum sitzen, mit der Aufgabe, Tönen etwas abzuverlangen oder meine Seele in die Schale zu legen, damit sie sich entfalten kann.
    »Das hab ich doch alles schon gemacht, es hat nichts genützt«, lautete meine Antwort, und Friederike machte wieder: »Pscht, pscht, was ist denn nur passiert? Was war denn mit dem Opa?«
    »Ach, eigentlich nichts weiter«, sagte ich. »Ich musste ihn nur immer einölen.«
    »Den Opa?«
    »Ja, sicher.«
    »Dann hatte er wohl eine sehr trockene Haut.« Ein Schlückchen Matetee, und Friederike wartete auf Antwort.
    Die bekam sie auch. »Nö, die war eher ledrig. Opa war ja schon seit drei Jahren tot.«
    Friederike knallte ihre Tasse auf den Tisch. »Er war tot?«
    »Ja. Aber beerdigen wollten wir ihn nicht. Das ist ja alles so teuer. Also haben wir ihn oben in seinem Zimmer liegen lassen.«
    Nun nahm Friederike ihre Tasse und trank den Tee in einem Zug leer, ich nehme jetzt noch an, dass sie hoffte, es sei Schnaps. Um sicherzugehen, dass sie auch wirklich fix und fertig mit den Nerven war, behauptete ich unter anderem, wir hätten Opa eine Art Kassettenrecorder in den Rücken eingepflanzt, mit einem Band dran, an dem man ziehen konnte, und dann habe Opa wie eine Sprechpuppe lustige Sachen gesagt, die wir auf dem Band
aufgenommen hatten, Sachen wie: »Wann gibt’s Mittag?« oder: »Wollen wir eine Runde Skat spielen?« Irgendwann hatte ich aber genug von dem Kram und erklärte Friederike, dass ich mir ein kleines Späßchen erlaubt hatte, was sie absolut nicht lustig fand und was zur Folge hatte, dass ich zwei Jahre auf die Rückgabe meines Führerscheins habe warten müssen. Ich bin natürlich trotzdem Auto gefahren, ich lasse mir nämlich nicht von irgendwelchen Idioten erklären, wann ich das darf und wann nicht. Der Taxizentrale hab ich auch nichts gesagt. Das wäre ja noch schöner gewesen. Davon mal abgesehen – niemand hätte mir meinen Verdienstausfall bezahlt. Darüber machen sich diese Psychologen beim Abnehmen der Führerscheine nämlich überhaupt keine Gedanken. Verboten werden sollte das alles.
    Friederike hat sogar noch gegen mich vor Gericht ausgesagt. Herrje, ja, ich hatte damals diese fünf Hunde überfahren, die mit ihrem Dogsitter unterwegs waren. Aber doch nicht absichtlich, jedenfalls nicht ganz. Was bleiben die auch auf dem Zebrastreifen stehen und schnüffeln an irgendwelchen Lebensmitteln rum, die jemand hat fallen lassen? Man kann doch auch nicht alles gleichzeitig machen: ein Brötchen essen, einen Kaffee trinken, sich ein graues Haar ausreißen,

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