Saving Phoenix Die Macht der Seelen 2: Roman (German Edition)
sah mich an. Vor lauter angestrengter Selbstbeherrschung zuckte ein Muskel in seinem Gesicht und ich fragte mich, ob er jetzt wohl irgendwas in Flammen aufgehen lassen würde; immerhin hatte er mich gewarnt, dass seine Fähigkeit manchmalmit ihm durchging, wenn er sauer war. »Wendy, mach jetzt keinen Fehler. Ich will dir ja gerne verzeihen, dass du versucht hast, mich zu beklauen – zweimal, um genau zu sein –, aber wenn du dich weigerst, zum Arzt zu gehen, bleibt mir leider nichts anderes übrig, als dich der Polizei zu übergeben, damit du dort von qualifiziertem medizinischem Personal versorgt werden kannst.«
Na hör sich den mal einer an! So viele lange Wörter, die alle zeigen sollten, dass er viel gebildeter war als ich. »Lass mich verdammt noch mal in Ruhe. Du hast nicht die geringste Ahnung von mir und meinem Leben, kommandierst aber schon herum.«
Er tippte mir gegen den Arm, überragte mich mit seinen einen Meter achtzig wütender Männlichkeit. Eigentlich hätte ich Angst kriegen müssen, aber mein Bauchgefühl sagte mir, dass er mir nicht wehtun würde. Vielleicht würde irgendetwas angekokelt werden, aber diesmal wäre es nicht meine Hand. »Du irrst dich gewaltig. Ich habe sehr wohl Ahnung von dir: Du bist mein Seelenspiegel. Und das steht in meinem Leben jetzt an erster, zweiter und dritter Stelle. Und wie sieht es bei dir aus?«
Ich verbarg mein Gesicht in den Händen, wollte am liebsten laut schreien vor Frust. »Geh ... einfach weg!«
Anscheinend brachte ich ihn im wahrsten Sinne zur Weißglut, denn neben seiner rechten Hand fing ein Papierstapel an zu schwelen. »Ich kann dich nicht in Ruhe lassen. Es ist einfach nur dämlich von dir, deine Gesundheit so leichtfertig aufs Spiel zu setzen.« Er bemerkte das Feuer und erstickte es schnell mit einem Buch aus seinerTasche. »Verdammt noch mal, guck dir mal an, wozu du mich treibst!«
»Ich? Diese Feuersache ist ja wohl dein Problem, nicht meins.«
Er holte tief Luft und kam dann offenbar zu dem Schluss, dass uns gegenseitige Beschimpfungen jetzt nicht weiterbringen würden.
»Sieh mal, ich muss bei dir bleiben. So läuft das nun mal mit den Seelenspiegeln, das weißt du doch. Meinst du etwa, ich bin begeistert davon, dass ausgerechnet meiner eine Diebin ist? Ein weiblicher Langfinger, der seine Begabung dazu benutzt, andere Leute auszunehmen?« Ich zuckte zusammen, doch er merkte es nicht, da er zu beschäftigt war, die Enttäuschung über sein Schicksal zu bejammern. »Zur Hölle, nein! Ich habe von diesem Augenblick geträumt, aber in meiner Vorstellung war diese Begegnung begleitet von ... ich weiß nicht ... Mondschein und Rosen und nicht von Magentritten und Sachbeschädigung im Wert von mehreren Tausend Dollar. Das Mindeste, was du also tun könntest, ist, deine Verletzung verarzten zu lassen, wenn ich’s dir sage.«
Natürlich verachtete er mich. Ich verachtete mich selbst. Ich hätte mich nie von seiner Liebenswürdigkeit einlullen lassen und etwas anderes erwarten sollen.
Ich kratzte die Reste meiner zerfetzten Ehre zusammen. »Ich habe meine Verletzung versorgt, so gut es ging. Du brauchst dir deswegen keine Sorgen zu machen.«
Meine Stimme war tonlos, denn in Gedanken beschäftigte mich bereits die Frage, was jetzt als Nächstes passieren würde. Ich würde Tschüs sagen, mich irgendwieheimlich davonmachen und dann zur Community zurückkehren, um dort zu berichten, dass die Zielperson nur eine Flasche Wasser bei sich gehabt hatte und seine Sachen bei einem abgefahrenen Unfall draufgegangen waren. Das würde knallermäßig gut ankommen. Ich würde meine nächste Strafe kassieren und dann ... und dann ... An diesem Punkt ließ mich meine Vorstellungskraft im Stich. Der Seher würde mich entweder umbringen oder mich mit einem seiner Anhänger verheiraten. Ich würde keine Einwände erheben, kein Wort sagen. Keiner würde Verdacht schöpfen, dass ich meinen Seelenspiegel gefunden hatte; es war die einzige Möglichkeit, ihn zu schützen. Yves könnte wieder in sein Flugzeug steigen und wegfliegen und ein erfolgreicher Wissenschaftler werden oder was weiß ich. Vielleicht wäre er nicht ganz so glücklich, wie wenn sich sein Seelenspiegel als Gazelle und nicht als plündernde Ratte herausgestellt hätte, aber er würde trotzdem ein lebenswertes Leben führen.
Er stand zwischen mir und der Tür, die Arme vor der Brust verschränkt. »Das reicht nicht, Wendy. Ich habe meine Sachen in die Luft gehen lassen und dich dabei verletzt,
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