Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen
Grider's Hole liegt.«
»Sehr wohl möglich, Mylord.«
Lord Peter streckte einen Finger nach Südosten aus. »Da liegt Grider's Hole«, sagte er. »Gehen wir.«
»Sehr wohl, Mylord.«
Und so machten sich Lord Peter und Bunter, ganz wie zwei ahnungslose Städter, munteren Schrittes den schmalen Moorpfad hinunter auf den Weg nach Grider's Hole, ohne auch nur einmal einen Blick über die Schulter zu werfen, um die große weiße Gefahr zu sehen, die sich aus der weiten Einsamkeit des Whemmeling-Moors lautlos durch die Novemberdämmerung heranwälzte.
»Bunter!«
»Hier, Mylord!«
Die Stimme war gleich neben seinem Ohr.
»Gott sei Dank! Ich dachte schon, jetzt wäre ich Sie für immer los. Menschenskind, das hätten wir aber wissen müssen.«
»Jawohl, Mylord.«
Es war von hinten gekommen, mit einem einzigen großen Schritt – dick, kalt und erstickend, so daß sie einander nicht mehr sehen konnten, obwohl sie kaum einen oder zwei Schritte voneinander entfernt waren.
»Ich bin ein Idiot, Bunter«, sagte Lord Peter.
»Mitnichten, Mylord.«
»Nicht bewegen; sprechen Sie weiter.«
»Ja, Mylord.«
Peter tastete nach rechts und klammerte sich an den Ärmel des andern.
»Ah! Und was machen wir jetzt?«
»Ich wüßte es nicht zu sagen, Mylord, da ich damit keine Erfahrung habe. Hat das – äh – Phänomen irgendwelche Gewohnheiten, Mylord?«
»Keine festen, glaube ich. Manchmal zieht es weiter. Ein andermal bleibt es tagelang an einem Platz. Wir können hier die ganze Nacht stehenbleiben und warten, ob es bei Tagesanbruch besser wird.«
»Ja, Mylord. Nur ist es hier leider etwas klamm.«
»Etwas – wie Sie sagen«, pflichtete Seine Lordschaft ihm mit einem kurzen Lachen bei.
Bunter nieste und entschuldigte sich höflich.
»Wenn wir weiter nach Südosten gehen«, sagte Seine Lordschaft, »kommen wir schon nach Grider's Hole, und die werden uns gefälligst für die Nacht aufnehmen müssen – oder uns eine Begleitung mitgeben. Ich habe eine Taschenlampe bei mir, und wir können uns nach dem Kompaß richten – o verdammt!«
»Mylord?«
»Ich hab den falschen Stock. Diese widerliche Esche! Kein Kompaß, Bunter – jetzt sind wir aufgeschmissen.«
»Könnten wir uns nicht immerzu bergab halten, Mylord?«
Lord Peter zögerte. Erinnerungen an Gehörtes und Gelesenes gingen ihm durch den Kopf und sagten ihm, daß aufwärts oder abwärts im Nebel einerlei sei. Doch der Mensch wandelt in eitlem Schatten. Es fällt ihm schwer, zu glauben, daß er wirklich hilflos ist. Die Kälte war eisig. »Wir könnten es versuchen«, sagte er schwach.
»Ich habe sagen hören, Mylord, daß man im Nebel immerzu im Kreise geht«, sagte Mr. Bunter, von verspäteter Zagheit erfaßt.
»Aber doch nicht an einem Hang«, entgegnete Lord Peter, der aus reinem Widerspruchsgeist heraus wieder mutig wurde.
Bunter fühlte sich außerhalb seines Elements und wußte einmal keinen Rat anzubieten.
»Na ja, schlimmer als jetzt kann es nicht mehr kommen«, sagte Lord Peter. »Wir versuchen es einfach und werden zwischendurch immerzu rufen.«
Er ergriff Bunters Hand, und vorsichtig gingen sie weiter in den dicken, kalten Nebel hinein.
Wie lange dieser Alptraum dauerte, hätte keiner von ihnen sagen können. Es war, als ob die Welt um sie herum gestorben wäre. Ihre eigenen Rufe erschreckten sie; als sie zu rufen aufhörten, war die Totenstille noch erschreckender. Sie stolperten über dicke Büschel Heide. Es war erstaunlich, wie sehr sie, der Sicht beraubt, die Unebenheiten des Bodens zu spüren bekamen. Nur sehr unsicher vermochten sie zwischen bergauf und bergab zu unterscheiden. Sie waren bis auf die Knochen durchgefroren, und doch lief ihnen der Schweiß der Mühsal und Angst die Gesichter hinunter.
Plötzlich ertönte – unmittelbar vor ihnen, wie es schien, und nur ein paar Schritte entfernt – ein langgezogener, schrecklicher Schrei – und noch einer – und noch einer.
»Mein Gott! Was war das?«
»Ein Pferd, Mylord.«
»Natürlich.« Sie erinnerten sich, Pferde einmal so schreien gehört zu haben. Damals hatte irgendwo ein Stall gebrannt.
»Armes Vieh«, sagte Peter. Impulsiv setzte er sich in die Richtung des Schreis in Bewegung und ließ Bunters Hand los.
»Kommen Sie zurück, Mylord!« rief der Diener in plötzlicher Verzweiflung. Und dann in angstvoller Erleuchtung:
»Um Gottes willen, bleiben Sie stehen, Mylord – das Moor!« Ein heller Schrei in der undurchdringlichen Schwärze. »Dableiben – rühren Sie sich
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