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Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen)

Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen)

Titel: Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Scalzi
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Doch dieses Wissen trug nicht dazu bei, ihre Verärgerung zu verringern, als sie auf der Randolph Street anhalten und absteigen musste, um ihr Fahrrad über ein Schlagloch zu tragen, das die gesamte Straßenbreite einnahm. An einem anderen Tag wäre sie vielleicht hindurchgefahren, aber heute konnte sie sich keinen Platten leisten. Sie war bereits spät dran und hatte nicht genug Bargeld für einen neuen Schlauch.
    Köpfe drehten sich in ihre Richtung, als Cadie ein Bein über den Sattel schwang und voll in das Pedal trat, wobei sie auf dem narbigen Ballen ihres Turnschuhs balancierte. Sie warf sich die Dreadlocks über die Schulter und schnippte die eine zurück, die ständig wieder nach vorn sprang, um wie ein Pendel vor ihrem rechten Auge zu schwingen. Irgendein Idiot im Geschäftsanzug drehte sich um und starrte auf ihre straff gespannte Cargohose, als sie sich vorbeugte und Tempo zulegte. Sie hätte ihm den Stinkefinger zeigen können, aber es machte mehr Spaß, auf ihn zuzuhalten, hektisch in die Pedale zu treten und seine Mütze auf die dreckige Straße zu werfen.
    »Miststück!«, rief er ihr nach, als sie in den Strom der ratternden Laster und Elektrominis eintauchte. Dann zeigte sie ihm doch den Finger, ohne sich umzudrehen, neben ihren pumpenden Hinterbacken. Jemand lachte schrill, und sein schimmerndes Stahlarmband mit den Marken klirrte an seinem Handgelenk, als er winkte, doch Cadies Widersacher rief etwas, das im Dröhnen von riesigen Reifen und im Hupen ihres Headsets unterging, als sie sich hinter einen Laster einfädelte. Sie war sich ziemlich sicher, dass es nicht seine Telefonnummer war.
    Und falls doch – sie grinste, während sie in der Anonymität des Verkehrs in den hallenden, rußgeschwärzten Kanal hinunterradelte -, sie hatte in ihrem Leben schon all die Männer gehabt, die sie brauchte.

    Die Armbandmarken nervten sie, während sie weiterrollte und jetzt wieder etwas Zeit aufholte. Jede Gegenkultur hatte ihre Wiedererkennungszeichen. Taschentuchcodes und Ohrringe. Sklavenringe und gekreuzte Handgelenke. Kryptische Magnetaufkleber an der Autostoßstange. Friedenssymbole, Bandlogos, Piercings, gefärbtes Haar, langes Haar, Stoppelhaar. Ankhs, Safariwesten und Leathermans. Gangsymbole und Teamabzeichen. Die Farben des Stammes.
    Jede Gegenkultur hatte ihre Methoden, die Tore zu bewachen. Manche waren zum Zweck der Exklusivität und des Machteinflusses geheim. Manche waren notwendigerweise geheim. Manche posaunten auffällig ihre Existenz hinaus, errichteten jedoch undurchdringliche Barrieren der Sprachgewohnheit. Manche wurden anfangs in den Untergrund getrieben, jahrhunderte- oder jahrzehntelang, um dann wieder aufzutauchen, wenn sich die gesellschaftlichen Konventionen verändert hatten.
    Doch damit hörten sie auf, Gegenkulturen zu sein. Sie verloren ihre Codewörter und geheimen Handzeichen. Die Wiedererkennungssymbole, die einst dazu dienten, sich gegenüber freundlich gesinnten Augen zu identifizieren, wurden zu einem offen getragenen Mitgliedsabzeichen. Der christliche Fisch. Die Regenbogenfahne. Nuancen der nonverbalen Kommunikation gingen verloren, wenn es sicher genug war, laut zu sprechen.
    Cadie waren die Marken in letzter Zeit immer häufiger aufgefallen. Klirrende Metallstücke, die an Stahlkettchen um den Hals unter maßgeschneiderten Sakkos getragen wurden, in den Knopflöchern von ausgefransten Jeansjacken oder in Schlüsselanhänger eingehakt. Jeweils drei, fünf oder sieben, auch einmal neun, immer in ungerader Anzahl. Die dünnen Metallscheiben waren aus Sicherheitsgründen an den Rändern mit farbigem Gummi eingefasst und wie altertümliche Lochkarten perforiert. Cadie hatte sie sich noch nie aus der Nähe ansehen können, aber sie glaubte, dass sich irgendein transparentes, lichtbrechendes Material zwischen den Metallschichten befand, nur dort sichtbar, wo die gestanzten Löcher waren.
    Sie waren kein Massenphänomen. Nur alle paar Tage sah sie jemanden mit diesen Marken. Neulich waren sie ihr zweimal an einem Tag aufgefallen.
    Natürlich machte sie sich Gedanken darüber. Sie hatte ein wenig danach gegoogelt und sich in Modegeschäften umgesehen, die trendige Accessoires verkauften. Aber sie hatte nichts gefunden. Was Cadie seltsam vorkam, war die Tatsache, dass die Marken – die eher wie filigrane Miniaturnachbildungen von Hundemarken aussahen – das Einzige waren, was die Leute, die sie trugen, miteinander gemeinsam zu haben schienen. Sie hatte zunächst gar nicht

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