Schakale Gottes
sich dem Altar zu, der hinter einem verschlossenen Gitter lag, an dessen oberem Rundbogen die Krücken der von der wundertätigen Madonna Geheilten hingen. Der Altar war mit unzähligen kostbaren Kolliers geschmückt, die Schwarze Madonna aber war nicht zu sehen. Wohl befand sich in der Mitte des Altars ein schwerer Rahmen aus Gold und Silber; er faßte jedoch kein Bild, sondern eine kunstvoll ziselierte Silberplatte ein.
Während Fedor Zadek noch nach dem berühmten Bildnis Ausschau hielt, erschollen plötzlich Fanfaren mit solcher Intensität, daß er zusammenfuhr. Die Menschen warfen sich auf den Boden und verhüllten ihre Gesichter. Es war, als würde der Weltuntergang angekündigt. In den metallischen Klang der Fanfaren, der von den Wänden und Säulen in schrillen Synkopen zurückgeworfen wurde, mischten sich die dröhnenden Bässe einer Orgel. Die Kapelle erbebte. Himmel und Hölle schienen im Kampf miteinander zu liegen. Unterdessen wurden im Gitter vor dem Altar drei Tore geöffnet. Priester und Ministranten erschienen, knieten nieder und blickten mit gefalteten Händen zu dem schweren Rahmen hoch, dessen Silberplatte sich langsam hob und das Bild der Schwarzen Madonna freigab.
Der Ausdruck ihres Gesichtes war von einer so rührenden Güte, daß Fedor Zadek nichts anderes als ihr Antlitz sah. Wie gebannt starrte er auf die beiden Narben, die Hussiten einst in ihre Wange geschlagen hatten. Doch dann erwachte der Goldschmied in ihm. Nur das Gesicht und die Hände der Madonna und ihres Kindes waren gemalt, der Kopfschmuck und die Gewänder waren echt und darübergesetzt. Beide trugen aus Gold getriebene, mit Edelsteinen geschmückte Kronen, und ihre über und über mit Diamanten besetzten Gewänder versprühten ein Feuer, das unwirklich anmutete und nicht von dieser Welt zu sein schien. Allein der Kronenschmuck stellte ein unschätzbares Vermögen dar. Größer aber noch war der ideelle Wert des Bildes, das der Evangelist Lukas gemalt haben soll.
Ein eigenartiges Glücksgefühl erfaßte Fedor Zadek. Er hätte frohlocken mögen und wunderte sich nicht, als ein Chor Wechselgesänge im Rhythmus einer Mazurka anstimmte. Die Herzen hüpften der Madonna förmlich entgegen, und die beschwingte Atmosphäre wäre erlösend gewesen, wenn nicht viele Gläubige begonnen hätten, auf den Knien um den Altar herumzurutschen. Andere wiederum warfen sich mit flehenden Gesten zu Boden. Fedor Zadek schauderte. Wie konnte die Kirche eine derartige Erniedrigung dulden?
Der verängstigte Ausdruck in den Gesichtern der Wallfahrer, die sich vermutlich nur kleiner und kleinster Vergehen schuldig gemacht hatten, sich aber wie von der Sünde Gebrandmarkte gebärdeten, trieb Fedor Zadek aus der Kirche.
In der Tür stieß er mit einem Pauliner zusammen.
»Nanu«, sagte der Pater lachend. »Laufen Sie etwa dem Herrgott da von?«
»Nein. Aber der Kirche, die Menschen so verängstigt, daß sie sich der Länge nach auf die Erde werfen und wie geschlagene Hunde winseln.«
Der Mönch wurde ernst. »Sie rühren da an einen Punkt, der mich sehr beschäftigt.« Er deutete ins Freie. »Wollen wir ein paar Schritte gehen?«
»Gerne.«
»Ich will offen zu Ihnen sein. Wenn ich mich nach der Konsekration den Gläubigen zuwende und sehe, wie viele sich vor Gott verkriechen, dann denke ich oft: Jetzt, da am Altar die Wandlung der Elemente stattgefunden hat und der geopferte Christus wirklich gegenwärtig ist, sollte man erhobenen Hauptes seine Segnung empfangen und nicht wie ein Tier vor seinem Herrn kuschen.«
Der Goldschmied wurde lebhaft. »Es freut mich, das von Ihnen zu hören. Mit Ihrer Auffassung werden Sie jedoch ziemlich allein stehen.«
»Keineswegs. Eine große Anzahl meiner Ordensbrüder ist schon aus ästhetischen Gründen gegen das Hinwerfen und Herumkriechen. Aber was sollen wir machen? Das sind Relikte aus einer Zeit, da der Mensch an die leibhaftige Anwesenheit des Teufels und anderer böser Geister glaubte. In gewisser Hinsicht leben wir immer noch im Mittelalter. Für unsere Bäuerinnen beispielsweise ist der Akt des Gebärens nach wie vor eine Befleckung, von der sie glauben, nur gereinigt werden zu können, wenn sie nach Beendigung des Wochenbettes mit einer brennenden Kerze in der Hand auf den Knien um den Altar herumrutschen.«
Der Pater beeindruckte Fedor Zadek. Trotzdem entgegnete er aggressiv: »Und wer hat das den Bäuerinnen beigebracht?«
»Natürlich die Kirche!« gab der Mönch unumwunden zu. »Ob sie
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