Scharade
blieb er verschont von den beklemmenden Erinnerungen.
Wenn sie in der Lage war, dem ängstlichen kleinen Mädchen zu verzeihen; das sich im Schrank versteckt hatte, würde Alex sich verzeihen können, seinen ehemaligen Partner erschossen zu haben. Wenn sie sich gegenseitig halfen, würden sie in der Lage sein, ihre persönlichen Alpträume zu überwinden.
Sie stand auf, da sie auf die Toilette muÃte, schlüpfte in sein Hemd und ging nach unten. Sie wollte ihn nicht durch die Spülung der Toilette oben aufwecken.
Sie tapste auf Zehenspitzen durch die untere Etage der Wohnung zum Bad unterhalb der Treppe. Als sie wieder herauskam, merkte sie, wie hellwach sie war.
Vorgestern war sie die ganze Nacht wach geblieben. Der gestrige Tag war lang und strapaziös gewesen. Sie hatten sich bis zur totalen Erschöpfung geliebt. Und doch fühlte sie sich â nach nur wenigen Stunden Schlaf â bereits wieder topfit. Die Sonne würde erst in einigen Stunden aufgehen, aber sie war zu unruhig, um wieder ins Bett zu gehen.
Hatte sie Hunger? Nein.
Durst? Eigentlich nicht.
Plötzlich schien die geheimnisvolle verschlossene Tür zu rufen. Cat starrte einige Momente darauf, wohl wissend, daà sie der magnetischen Anziehungskraft widerstehen sollte. Doch ihre Neugier war stärker.
Was würde es schon ausmachen, wenn sie jetzt mal einen Blick hineinwarf?
Alex hatte es ihr zwar strikt verboten, aber das war zu Beginn ihrer Beziehung gewesen. Damals hatten sie sich kaum gekannt. Nun war es etwas anderes. Sie waren intim
gewesen, körperlich wie geistig. Sie hatten einander Geheimnisse anvertraut. Sicherlich galt sein albernes Zutrittsverbot jetzt nicht mehr.
Sie wollte die Tür öffnen und stellte fest, daà sie verschlossen war.
Auch gut. Eigentlich wuÃte sie, daà sie doch besser vorher fragen sollte, ehe sie das Zimmer betrat.
Trotzdem stellte sie sich auf die Zehenspitzen, tastete mit den Fingern den Türrahmen entlang und fand tatsächlich einen kleinen Schlüssel. Sie betrachtete das als gutes Omen. Wenn er wirklich nicht wollte, daà sie das Zimmer betrat, würde er dann den Schlüssel an einem so einfach zu findenden Platz ablegen?
Sie steckte den Schlüssel ins SchloÃ, drehte ihn um, ein sanftes metallisches Klick, und die Tür war offen. Sie lauschte, aber er schien sich oben im Bett nicht zu rühren. Sie betrat das Zimmer und schloà die Tür hinter sich, ehe sie Licht machte.
Der Raum war eine einzige Enttäuschung. Das Arbeitszimmer eines Schriftstellers hatte sie sich ganz anders vorgestellt: mit getäfelten Wänden, edlen Teppichen und massiver Ledergarnitur. Die Regale gefüllt mit wertvollen Erstausgaben der groÃen Werke der Weltliteratur, kunstvoll beleuchtet mit Tiffany-Lampen.
Alexâ Arbeitsplatz jedoch war genau das â ein Arbeitsplatz. Nützlich, enttäuschend unattraktiv, ohne jede Atmosphäre, eine ästhetische Katastrophe. Auf einem einfachen Klappschreibtisch standen ein Computer und ein Drucker. Daneben ein Faxgerät.
Es lagen zwar reichlich viele Bücher herum, von Nachschlagewerken bis hin zu aktuellen Bestsellern, aber es waren einfache, eselsohrige Ausgaben, nachlässig in einem Stahlregal aufgereiht. Das Telefon stand auf einem Stapel Telefonbüchern.
In einer Ecke des Zimmers befand sich ein weiterer Schreibtisch, an dem er augenscheinlich seine sonstigen Schreibarbeiten verrichtete. Briefe, Kontoauszüge, ein mit Kaffeeflecken verzierter Schreibblock mit unleserlichen Notizen und mehreren Aktenordnern lagen herum. Die Ordner waren per Hand beschriftet und sahen reichlich gebraucht aus; die Ecken waren abgenutzt und schäbig.
Cats Blick wanderte über den Papierberg zu einem gerahmten Foto. Sie hob es hoch und betrachtete das lächelnde Paar darauf eingehender. Das Foto zeigte Alex mit einem breiten, geschwungenen Schnurrbart. Sie nahm sich vor, ihn später damit aufzuziehen.
Neben ihm stand eine ausnehmend hübsche junge Frau. Ebenso wie Alex trug sie abgeschnittene Jeans und Wanderstiefel. Sie saà auf einem Felsvorsprung. Alex hockte hinter ihr. Im Hintergrund sah man ein Bergmassiv, den Rocky Mountains ähnlich.
Urlaubsfotos. Er hatte also mit dieser Frau gemeinsam Urlaub gemacht.
Cat ärgerte sich über ihre Eifersucsht. Selbstverständlich hatte Alex vor ihr andere Frauen gehabt. Sie durfte sich nicht von einem einzigen Foto
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