Schartz, S: Elfenzeit 20: Der Atem der Unsterblichkeit
so recht orientieren können, weil die wetterleuchtenden Schleier dort oben wallten.
Außerdem beobachtete er die Positionen der Krieger. Wie wurden die Wachen eingeteilt, wo lagerten sie? Kito ließ er so gut wie gar nicht aus den Augen, weil der immerhin seinen Waffengürtel trug. Und das alles musste so unauffällig wie möglich geschehen. Deshalb entschied David, sich schwach zu stellen, so schwer es ihm auch fiel. Er gab sich sehr erschöpft und leidend, teilnahmslos und nörgelig. Das war durchaus glaubwürdig, denn sie waren viele Stunden ohne Pause geritten, und der Prinz fühlte sich tatsächlich wie gerädert. Schließlich hatte er mindestens zwei Tage Folter hinter sich, so genau wusste er das nicht.
Als Jüngling wäre ihm so ein Verhalten nie in den Sinn gekommen. Dazu wäre er viel zu stolz und hitzköpfig gewesen. Es hatte eine Zeit gegeben, in der er jeden zum Duell gefordert hatte, dessen Spitzenaufschlag am Ärmel ihm nicht gefiel. Doch inzwischen war er gereift, nicht zuletzt durch die Ereignisse der vergangenen Monate, und wusste, dass er sich nichts vergab, wenn er durch ein wenig Schauspiel einen Vorteil herausschlug. Und es ging ja um nichts weniger als um die Rettung der Welt. Und um Nadja, vor allem um sie.
Die Wärter versorgten ihn nach Mageds Anweisung gut, denn schließlich war er eine wertvolle Geisel. Dankbar nahm David alles an und zwang sich, gesittet zu essen und zu trinken; diese Blöße wollte er sich nicht auch noch geben. Aber er forderte Nachschub. Er brauchte Kraft, viel Kraft.
Der Hauptmann setzte sich zum Essen zu ihm, auf der anderen Seite nahm der unvermeidliche Kito Platz.
»Ist Euch alles genehm, Hoheit?«, fragte Maged nicht ohne Ironie. Diese gestandenen Wüstenkrieger hielten ihn für einen verwöhnten Prinzen, dessen größtes Problem die Auswahl der passenden Kleidung zum jeweiligen Anlass darstellte. Vermutlich nahmen sie an, dass seine Schwerter und der Dolch mehr eine Zierde darstellten, als dass sie wirklich nutzbringend waren.
»Ja, vielen Dank, ich bin sehr entzückt.«
David wusste, wie er aussah. Seine Haut war glatt und wie Samt, Gestalt und Gesicht von hohem Adel, eher feingliedrig denn kraftvoll. Und er
war
sehr behütet aufgewachsen, jeder Wunsch war ihm von den Lippen abgelesen worden. Abgesehen von den Lektionen hatte er ein Leben des Müßiggangs geführt, war auf Jagden gegangen oder hatte sich den schönen Künsten gewidmet, wenn er sich nicht gerade duellierte oder um eine Elfe warb. Gewiss, die Konventionen waren sehr streng gewesen, aber andererseits hatte Fanmór sich nicht sonderlich um seine Kinder gekümmert, sodass sie ziemliche Freiheiten genossen hatten.
Mein Michelangelo
, hatte Nadja in Venedig einst zu David gesagt. Nach der Heimkehr von Lyonesse hatte sie hinzugefügt:
Dort unten im Verlies, als Ethon dich quälte, warst du wie Prometheus – ein Gott
.
Diese Elfen aus Swartson waren das pure Gegenteil von ihm. Einfache, grobschlächtige Geschöpfe, die einen täglichen Überlebenskampf fochten und ständig darum besorgt waren, nicht hart und männlich genug zu sein. Hatten sie keine Herausforderung, suchten sie eine. Sie waren stolz, aber dickblütig. Die anderen Reichen beachteten sie kaum. David war der Erbe des Großreichs Earrach, wohingegen diese Elfen kaum eine Chance hatten, in der Hierarchie aufzusteigen. Sie mussten ihn zwangsläufig verachten.
Kein Wunder, dass Königin Nandi sich Tara angeschlossen hatte. David konnte sich vorstellen, wie sein Vater sich ihr gegenüber verhalten hatte.
Nun aber mochten die Vorurteile gegen ihn zu seinem Vorteil gereichen. Die Swartson würden nachlässiger in der Bewachung sein, wenn sie ihn für schwächlich hielten. Bis auf die Sache mit dem Reiten … Und darauf kam Maged prompt zu sprechen.
»Seid Ihr früher schon Dromedare geritten?«
»Nein, aber ich bin recht talentiert, was das betrifft. Von früher Kindheit an saß ich auf dem Pferd, jeden Tag. Ich kann auch ohne Sattel reiten.«
»Zur Jagd?«, warf Kito ein.
»Gewiss, nach schönen Frauen«, antwortete David und grinste.
Die Soldaten im Umkreis rückten näher. »Habt Ihr viele Frauen, Prinz?«, wollte einer wissen.
»Nicht mehr«, gestand David wahrheitsgemäß. »Die Mutter meines Sohnes ist meine erwählte Gefährtin.«
Ringsum starrten ihn entgeisterte Elfen an. »Nur
eine?
« Kopfschüttelnd wandten sich einige ab.
David musste zugeben, dass es selbst in Earrach nicht unbedingt üblich war, überhaupt mit
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