Schatten Blut
Bruder ins Kreuzfeuer geraten und Julies Schicksal teilen würde. Das Risiko erschien uns zu hoch. Somit hatte Alistair auf unser Bitten hin nur einen Kranz geschickt.
Daher stand ich nun mit meinem Vater allein vor dem Grab, schüttelte die Hände vieler mir unbekannter Leute, murmelte meinen Dank für ihre Anteilnahme und überlegte gleichzeitig, wer die arme Tote gewesen war, deren Asche nun in Julies Grab lag. Eine namenlose, blonde Frauenleiche, gefunden auf der Straße. Vermutlich eine Obdachlose. Verstorben als eine Nummer in Darians Krankenhaus und nun mit einem dort auf Julies Namen ausgestellten Totenschein hier ins Erdreich gebracht. Wenn es nicht so makaber wäre, hätte ich mich für diese Frau vielleicht sogar freuen können. Wann bekam eine Obdachlose schon mal ein First Class Begräbnis mit allem Drum und Dran? Mit einer Predigt und einer edlen Designer-Urne, einem Chor und Grab in bester Lage mit Ausblick ins Grüne. Julie hätte es hier bestimmt gefallen.
Die nun rollenden Tränen waren echt.
»Alles klar, Schatz?« fragte Dad leise. Er hatte seinen Arm um mich gelegt und drückte mich fest an sich.
Ich nickte wortlos und wischte die Tränen mit dem Handrücken fort. Ein aufmerksamer Trauergast reichte mir ein Taschentuch und als ich aufschaute, erkannte ich Julies Chefin.
»Sie wird uns allen sehr fehlen, Miss McNamara«, meinte Victoria Dunhill voll Mitleid in der Stimme. »Es ist so bedauerlich. Sie war noch so jung.«
Abermals nickte ich und hatte Mühe, den Zorn in meiner Stimme zu beherrschen. »Ja, sie hatte noch das ganze Leben vor sich, Mrs. Dunhill. Und plötzlich ist es zu Ende.«
»Ach, meine Liebe.« Sie tätschelte meine Hand und lächelte mir halbwegs aufmunternd zu. »Manchmal geht es einfach zu schnell, das lässt sich nicht ändern, auch wenn wir es gern tun würden. Doch es gibt Dinge im Leben, die liegen außerhalb unserer doch sehr bescheidenen Möglichkeiten.«
»Ja, manche Dinge müssen wir so hinnehmen, wie sie gerade sind«, warf mein Vater ein und lächelte Mrs. Dunhill milde zu.
»Wie wahr, wie wahr.«
Ich kam mir vor wie bei einem Kaffeekränzchen unter alten Damen und hatte das innerliche Bedürfnis, laut zu schreien. Diese ganze Heuchelei zerrte an meinen Nerven. Nur mit Anstrengung konnte ich es unterdrücken und rang mir stattdessen ein unechtes Lächeln ab.
»Ich möchte ungern geschäftlich werden, Mr. McNamara«, sagte Mrs. Dunhill, bevor sie sich abwandte. »Leider ist es unabdingbar, dass Sie in den nächsten Tagen in der Bank vorbei schauen.«
»Ich werde kommen, Mrs. Dunhill. Spätestens Anfang nächster Woche«, versprach Dad und wandte sich dem nächsten Trauergast zu. Die Audienz war beendet.
Die Beileidsbekundungen rissen ab, die Trauergäste verließen den Friedhof, ich atmete durch. Da standen Peter und Gloria plötzlich vor mir.
»Es tut mir leid, Faye«, meinte er leise und von beiden ließ ich mich umarmen. »Danke, dass ihr gekommen seid.«
»Das ist doch selbstverständlich, Faye«, raunte Gloria mir zu und tätschelte mitfühlend meine Wange. »Ach Faye, leider kannten wir Julie nicht sehr gut, aber sie war so eine hübsche, junge Frau. Es ist sehr traurig, dass sie so früh gehen musste.«
Wie ich sie hasste, diese Lügen! Und doch hatte ich keine Wahl. Ich lächelte tapfer. »Ja, dieser entsetzliche Unfall«, murmelte ich. »Es gab überhaupt keine Chance.«
Peter nickte. »Wir haben darüber in der Zeitung gelesen. Wirklich tragisch. Hat Scotland Yard den Fahrer des anderen Wagens denn ausfindig machen können?«
»Leider nein«, warf Dad ein. »Solche dunkelblauen Wagen gibt es wie Sand am Meer und ohne zuverlässige Zeugen ist das Auffinden recht schwierig. Wenn sich etwas ergeben sollte, werden wir es sicherlich sofort erfahren.«
»Es wäre schön, wenn es aufgeklärt und der Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen wird. Ich wünsche es euch aufrichtig.« Gloria legte mir die Hand auf die Schulter und blickte mich bedauernd an.
Mit aller Inbrunst gab ich zurück: »Das wünschen wir uns auch!«
Peter sah mich nur an und nahm mich dann in den Arm. »Ruf mich an, wenn du soweit bist, Faye.«
»Mach ich. Momentan brauche ich noch meine Auszeit. Erstmal alles klären. Dabei tut mir das Landleben in den Highlands ganz gut.«
Die beiden nickten uns nochmals zu, dann verließen auch sie den Friedhof. Dad und ich sahen uns an. Mein Vater brach als Erster das Schweigen: »Ich bin froh, dass jetzt alles vorüber ist.«
»Ja«,
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