Schatten der Vergangenheit (German Edition)
seufzte, sah nun das Bild an und seufzte erneut. Der Junge hatte ein gutes Auge. „Philippe hat Recht. Das war kein Meisterwerk...“ gestand er.
August sah Philippe an und lächelte.
„Mein schöner Junge darf mich kritisieren, deshalb schätze ich ihn. Zumal er einer der wenigen ist, die es sich wagen.“ Er tätschelte mit seiner schwieligen Hand die glattrasierte Wange von Philippe, der leise lachte. Warum hatte er keinen Vater wie August?
„Weil seine Arroganz deine noch übersteigt“, rutschte Lily heraus. Beide Männer sahen sie an.
„Ich glaube, deine Tochter mag mich nicht...“ August zog die Schultern hoch und grinste.
„Keine Ahnung warum“, sagte August. „Oder Lily?“ fragte er sie. „Ich gehe. Ich melde mich, wenn ich wieder in Paris bin.“ Philippe hielt sie am Arm fest.
„Nicht so schnell, Madame d´Arthois. Ich denke, wir haben noch einiges zu besprechen!“ Sie öffnete den Mund, doch sie war sprachlos. Das passierte ihr sonst nie.
August sah zwischen den beiden hin und her.
„Ich hole mir etwas zu trinken.“ sagte er, aber die zwei schienen ihn ohnehin nicht mehr zu hören oder zu bemerken. Solange sie sich nicht prügelten und seine Bilder oder Skulpturen zerstörten, sollte es ihm recht sein. Er brauchte jetzt etwas Starkes, auch wenn es erst Vormittag war. Irgendwo fand sich sicher noch eine Flasche Cognac, oder?
Sie waren alleine.
Lily konnte sich genau erinnern, als sie ihn das erste Mal sah. Es war auf einer Party in Las Vegas gewesen. Kinder reicher Eltern feierten und es gab alles, von Drogen bis zu Designerkleidung. Eine Popgruppe, die damals weltweit einen Hit hatten, sang. Es war so eine Boygroup, deren Namen sie sich nicht gemerkt hatte, aber das Lied hieß ‚Everybody’ und einer der Gastgeber hatte sie einfach für einen Abend engagiert. Einfach so. Jeder hatte Geld, außer Lily. Lily hatte dafür etwas anderes: ungewöhnliche Schönheit und Jugend.
Irgendjemand hatte Lily zu der Party mitgenommen. Sie war zwei Tage vorher sechzehn geworden. Alleine in den USA, hatte sie gerade soviel Geld, um zu überleben und sie wollte etwas erleben. Sie hatte die Schule verlassen, mitten im Jahr, hatte zwei Wochen bei ihrem Vater in Südfrankreich verbracht und war dann mit einigen Hundert Franc nach New York aufgebrochen.
Nach zwei Monaten war sie in Las Vegas gelandet, zusammen mit einem schwulen, jungen Mann, den sie in Los Angeles getroffen hatte. Er war ein Bewunderer ihres Vaters und hatte ihr den Flug nach Las Vegas bezahlt. Ein Freund von ihm kannte die Gastgeber und so war sie plötzlich auf der Party.
Auf der Party fiel sie auf. Sie war eines der jüngsten Mädchen, sie war naiv und sie war schön. Lily machte sich nichts vor, denn schon damals sahen die Männer sie an und dachten an eine Puppe. Sie gehörte auch nicht zu den Mädchen, die sich die Haare schwarz färbten und hässliche Kleidung trugen, damit die Männer ihre inneren Werte sahen. Sie rätselte bis heute, was ihre inneren Werte eigentlich waren.
Sie lief aber auch nicht in kurzen Röcken herum, da sie Jeans und Polohemden liebte. Sie sah damals aus, wie eines der Mädchen aus der Lacoste Werbung, nur ihre T-Shirts hatten kein Krokodil, weil sie nicht von Lacoste waren.
Philippe war ihr gleich aufgefallen. Jeder bemerkte Philippe. Niemand hätte Philippe je übersehen. Er war der strahlende Mittelpunkt. Er war damals wie heute bildschön, zu schön für einen Mann, wie Lilys schwuler Freund aus L.A. sarkastisch meinte. Sein merkwürdiger Halbbruder und er waren Mittelpunkt einer jeden Party, jeder wilden Party.
Die Zeitungen waren mit ihren Exzessen voll und jeder Fotograf wollte ein Foto von den beiden. Die zwei sahen sich zwar nicht ähnlich, aber jeder wusste, dass sie Halbbrüder waren. Henry sah seiner englischen Mutter und seinem Vater ähnlich, Philippe seiner argentinischen Mutter und beide hatten das aristokratische Gehabe ihrer langen Ahnenreihe und wahrscheinlich auch so manch andere negativen Gene geerbt. Henry war zu jedem gemein, Philippe hingegen war immer charmant und gewann selbst seine Kritiker mit einem Lächeln.
Philippe war damals schon betrunken und Lily war zu naiv gewesen zu denken, dass es nur Alkohol war. Dass beide Brüder Drogen nahmen, das erfuhr sie später. Vor Las Vegas hatte sie nur in Filmen Drogensüchtige gesehen.
Niemand warnte sie. Jeder fand es lustig, dass sie ihn mit
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