Schatten der Vergangenheit (German Edition)
VW Golf neben dem Porsche Cayenne, der so aussah wie der von Philippe. Er hatte zumindest die gleiche Farbe und war das gleiche Modell, aber vielleicht gab es mehrere Gäste auf Olala der „Liebe auf den ersten Blick…“ mit diesem Auto. Ana kicherte. So ein dummer Name. Das Schloss sah aus wie aus Zuckerguss. Diese Leute wussten auch nichts vom Hunger in der Welt!
Der alte Mann hatte einen verdammt gutaussehenden Sohn. Aber daran sollte sie jetzt nicht denken. Das hier war Arbeit! Sie hatte alle Mühe gehabt, dieses Praktikum zu bekommen. Wer nahm schon gerne eine Sechszehnjährige, auch wenn diese den Ruf eines Wunderkindes hatte?
Sie stapfte in ihren alten Turnschuhen über den Kies in Richtung Schloss. Hier schien es sehr sicher zu sein, denn keiner überprüfte oder hinderte sie, bis sie das Eingangstor erreichte. Entweder war es ein Land ohne Kriminalität – was Ana bezweifelte – oder die Bewohner waren so naiv, dass jeder ungehindert in das Schloss marschieren konnte.
Ehe man den prächtigen Eingang mit der großen Treppe erreichte, sah man bereits den Poloplatz, der links hinter den Stallungen lag. Ein Reiter spielte mit einem anderen, der jedoch um einiges schlechter war und ab und zu nicht mal den Ball traf. Der gute Spieler war eindeutig Philippe. Sie erkannte ihn sofort, wie er den Mallet hielt und in den Steigbügeln stand. Er spielte gut. Das lag wohl im Blut der Solanas, dachte sie. Die Solanas waren seit Jahrzehnten berühmt für ihre Reitkünste. Selbst in Argentinien, dem Land des Polosports, waren die Solanas bekannt. Nur gut, dass sie nicht mehr mit ihren Pferden in Schlachten zogen, dachte sie amüsiert, als Philippe einen Ball mit einem Tailshot traf und fluchte, weil er nicht dorthin flog, wohin er wollte. Er tat das laut in Spanisch und Ana lachte kurz auf.
„Guten Tag. Sie sind sicher Miss Solis?“ fragte Henry, der sie von seinem Büro aus gesehen hatte und ihr entgegenkam. Er sah kurz zu seinem Sohn, der das Pferd wendete. Natürlich sah das Mädchen zu Philippe. Welches Mädchen tat dies nicht? Wäre sein Sohn nur halb so gutaussehend, wäre auch für ihn das Leben leichter. Henry sah wieder Ana an, die ihn erwartungsvoll anschaute.
Wie jung dieses Mädchen war! Jetzt verstand er den Begriff Wunderkind – das war tatsächlich noch ein Kind.
„Di Solis, Ana, Sir.“ ver besserte sie kurz und reichte ihm die Mappe hin. Hatte er vielleicht so einen komischen Adelsnamen mit einem Lord davor und sie hatte jetzt einen Etiketten Faux pax begannen? Wenn dies der Fall war, so war es Henry gleichgültig oder sah darüber hinweg. Es hätte ihr auch jemand sagen können, wenn es anders wäre.
„Ich habe Sie früher erwartet.“ Sollte er das Mädchen überhaupt siezen? Sie sah keinen Tag älter als siebzehn aus. Hatte sie überhaupt einen Führerschein oder war sie ohne den gefahren? Er hatte nicht gedacht, dass sie so jung war.
„Es tut mir leid, aber ich steckte im Stau.“ Henry sah zuerst auf die Mappe, blickte kurz hinein auf die Dokumente und sah sich dann das Mädchen genauer an.
Das sollte ein Wunderkind sein? Sie war sehr groß und Argentinierin, wenn er den Akzent richtig einschätzte. Schade, dass er schon vergeben war und sie so jung. Sie war ein hübsches Ding, wenn auch ein wenig schlaksig, aber sie würde mal eine wunderschöne Frau werden. Das sah er mit Kennerblick. Er hatte eine Schwäche für Südamerikanerinnen... oh ja.
„Sie sind aber jung,“ rutschte ihm hinaus.
„Sechzehn, Sir.“ Sechzehn, mein Gott! Einen Akzent hatte sie auch, aber nicht schlimmer als den seiner Frau, dachte Henry und die lebte seit dreißig Jahren in Europa. Hoffentlich sah sie Philippe nicht, denn der würde sie nur verderben. Ehefrau hin oder her. Er kannte doch seinen Sohn!
Zu spät, denn Philippe hatte sie gesehen und ritt in voller Ausrüstung auf dem Polopferd heran. Wie ein Krieger auf Eroberungszug, dachte Henry und atmete tief durch. Manchmal beneidete er seinen Sohn um die wilden Jahre, die für ihn so kurz gewesen waren. Viel zu kurz. Er hatte so jung geheiratet, war jung Vater und Witwer geworden. Er musste dann wieder heiraten, weil sein Erstgeborner einen Mutter brauchte und weil Catarina schwanger war.
„Hola, Ana, hast du doch eine Beförderung hierher gefunden?“ Er machte eine Kopfbewegung zu dem weißen VW Golf, der zwischen den teuren Autos auffiel. „Wer hat dich denn einen Golf fahren lassen? Du
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