Schatten der Vergangenheit (German Edition)
erstaunlich nüchtern gewesen, ganz im Gegensatz zu ihr. Sie hatte große Probleme gehabt, sich auch nur vom Sofa zu erheben, aber die Verlockung war einfach zu groß, obwohl sie sich doch fest vorgenommen hatte, mit ihm Schluss zu machen.
Selbstverständlich schlief jemand wie Philippe nicht einfach in einem normalen Hotelzimmer. Sie hatte das auch nicht erwartet. Im Four Seasons hatte der Portier ihn mit Namen begrüßt. Zumindest glaubte sie, sich daran zu erinnern. Definitiv konnte sie sich an das große Bett erinnern – wozu brauchte eine Person über 80m², wenn er nur zu Besuch war?
Sie hatte es noch lustig gefunden, als er sie in den Lift trug, nachdem sie beinahe aus dem Taxi gefallen war. Warum nur war sie so betrunken mit Philippe mitgegangen? Hatte er ihr das Kleid bereits im Aufzug geöffnet? Hatte sie überhaupt noch einen Slip an, als sie die Suite betrat?
Ana wurde bei der Erinnerung wieder übel. Sie griff sich nochmal an die Stirn. Hatte er sie geküsst – sicher. Sie schloss kurz die Augen. Es gab Details, die ihr im Gedächtnis geblieben waren, wie der Augenblick, als er ihr das gelbe Chanelkleid auszog. Oh mein Gott, sie hatte kein Höschen mehr angehabt. Sie war splitternackt gewesen. Wann hatte sie ihren Slip verloren? Und wo? In dem Lokal?
Und dann?
Sie wusste nur, dass sie mit starken Kopfschmerzen neben Philippe aufgewacht war. Genau genommen hatte sie halb auf ihm gelegen, nackt, warm und mit samtiger Haut, auch an das konnte sie sich erinnern. Er hatte tief und fest geschlafen und es nicht gemerkt, als sie die Flucht ergriff, nachdem sie verzweifelt nach benutzten Kondomen gesucht hatte. Hatten sie oder hatten sie nicht? Leider fiel ihr das mit den Kondomen erst ein, als sie sich geduscht hatte und dann war es auch zu spät. Nie zuvor war ihr das passiert! Sie war doch immer so rational, sie dachte doch immer an Verhütung, gerade bei so jemanden wie Philippe! Was für ein Durcheinander! Nie wieder würde sie soviel trinken, nie wieder in ihrem Leben.
Es gab keine Zukunft für sie und Philippe und mit dieser Nacht sollt ein Schlusspunkt gezogen werden. Er war verheiratet, ein Frauenheld und hatte Alkoholprobleme. Am besten wäre es, wenn sie ihn nie wieder sehen würde. Wahrscheinlich war Philippe bereits mit einer anderen Frau im Bett und hatte den Brief, den sie ihm hinterließ nicht mal gelesen oder darüber gelacht. Ana schloss die Augen und atmete tief durch.
Ana gehörte nicht zu den Argentiniern, die die helle Haut ihrer europäischen Vorfahren hatten, aber sie war auch nicht dunkel, wie eine Quechua. Ihre Ahnen waren vor allem Spanier und Italiener, beide mit dunklerer Hautfarbe, und enttäuschend für ihre Mutter, die hell wie ihre englischen Ahnen und sehr stolz darauf war. Der Taxifahrer war auch nicht dunkler oder heller als sie. Sie war definitiv zu Hause. Warum machte sie das nicht glücklicher? Weil Philippe auch her war– genauso wie Peter Harting. Hoffentlich machte Philippe keine Szene, gerade wo sie Peter Harting so weit hatte, dass er ihr wie ein Hund nachlief.
„Wieder zu Hause?“ fragte der Taxifahrer und riss sie damit aus ihren Gedanken.„Ja, wieder zu Hause“, sagte sie, wie zu sich selbst.
Sie liebte das Land, aber es gab hier keine Zukunft für sie. Sie war die Tochter von Geraldo Rodriguez Alvarez, einem der reichsten Männer, aber auch einem der gefürchteten Männer des Landes. Jeder nannte ihn Don Geraldo, selbst die mächtigen Männer Argentiniens. Nicht mal der Präsident legte sich mit Don Geraldo an. Niemand. Ihr Vater hatte andere Vorstellungen von ihrem Leben, wie sie und er würde alles daran setzten, dass sie diesen Vorstellungen entsprach. Deshalb wusste sie, dass ihre Zeit in Buenos Aires begrenzt war. Und so wie es aussah, reichten seine Finger weiter als nur bis zu den Grenzen Argentiniens. Nur gut, dass auch sie einen Plan hatte.
Links vom schmiedeeisernen, hohen Tor in einem kleinen gemauerten Häuschen stand ein Wächter, der sofort herauskam, als das Taxi hielt. Der Taxifahrer fragte Ana: „Sicher, dass das die richtige Adresse ist?“
Er, der mit offenem Fenster gefahren war, denn eine Klimaanlage war in dem alten VW nicht vorhanden, streckte den Kopf zum Fenster hinaus und sah auf die hohen Bäume, die hinter der hohen Steinmauer lagen.
„Ja, wir sind richtig“, sagte Ana. „Aber hier wohnt Don Geraldo...“
Die letzten zwei Worte sprach der Fahrer mit Ehrfurcht aus. So
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