Schatten Des Dschungels
kein Recht, aus purer Gier alles zu nehmen und zu zerstören, was wir auf der Erde vorgefunden haben. Nicht die Menschenrechte sind das höchste Gut in dieser Welt, wir sind nur eine Art unter vielen, die auf diesem Planeten leben! Wenn ich jetzt alles auffliegen lasse, dann bin ich, ich, ich schuld daran, wenn der letzte Regenwald zugrunde geht. ICH!
Ich krümme mich in der Hängematte zusammen, mein ganzer Körper hat sich verkrampft. So eine Scheiße. Hätte ich doch nie von Last Hope erfahren. Wenn ich in Deutschland geblieben wäre … Stopp! Was ist das denn für ein feiger Gedanke? , brüllt mich eine Stimme aus meinem Inneren an. So, du willst lieber nichts wissen, dir die Hände nicht schmutzig machen? Heuchelei pur!
Doch sosehr ich mich quäle, eins bereue ich keinen Moment lang. Dass ich mich in Falk verliebt habe.
Am Nachmittag fühlen sich meine Gedanken etwas klarer an, aber entschieden habe ich mich immer noch nicht. Trotzdem halte ich es nicht mehr aus in meiner Hängematte. Ganz langsam, als wäre ich krank gewesen, krieche ich daraus hervor. Wie immer suchen meine Augen als Erstes nach Falk, finden ihn nicht. Lindy, die in der Nähe sitzt und über dem Butangaskocher Reis zubereitet, scheint zu wissen, was ich denke. »Er ist unterwegs bei der Artenzählung«, sagt sie. »Unsere normale Arbeit geht weiter, wir sind nicht nur wegen Last Hope hier … falls du dich das gefragt hast.«
Ich nicke langsam. Ja, das habe ich mich tatsächlich gefragt. Ob die normale Forschungsarbeit nur ein Alibi war.
Lindy lächelt mich an und zupft eine ihrer schwarzen Locken zurecht, die ihr in die Stirn gefallen sind. »Ich kenne den Regenwald seit meiner Kindheit«, sagt sie. »Aber bei mir hat’s eine Weile gedauert, bis mir klar wurde, dass man ihn schützen muss. Ich war auf dem College, hab später einen Job als Assistant Manager in der Holzindustrie gefunden und war auch noch total stolz darauf. Bis ich eines Tages gemerkt habe, dass es schrecklich ist, was ich da mache.«
»Also hast du gekündigt.«
»Nein. Ich bin eines Tages mit einer Knarre ins Büro gekommen und habe meinen Chef abgeknallt.«
Als Lindy meinen entsetzten Gesichtsausdruck sieht, fängt sie an zu kichern. »Hey, war nur Spaß! Du traust mir ja wirklich alles zu.«
Langsam beginne ich wieder zu atmen. Mir fällt keine Antwort ein, Lindy ist der Wahrheit zu nah gekommen.
Aus dem Augenwinkel sehe ich eine Bewegung und weiß sofort, dass es Falk ist. Als er mich sieht, kommt er zu mir und küsst mich sanft. Es ist ein so herrlicher Kuss, dass ich einen Moment lang schwebe, warm flutet das Glück durch meinen ganzen Körper.
Falk fragt nichts, wahrscheinlich hat ihm schon ein Blick in meine Augen verraten, dass ich mich noch nicht entschieden habe. Wir schlendern durchs Camp, an dem riesigen umgestürzten Baum entlang, unserem gefallenen Riesen. Durch die Lücke im Kronendach kann ich den mit Solarzellen besetzten Ballon sehen, der unsere Energieversorgung sichert. Mit diesem Strom hat Falk einen der Computer aufgeladen und macht sich jetzt daran, seine Notizen aus der Feldarbeit in eine Datei zu übertragen.
»Na, gute Beute gemacht?«, frage ich ihn.
»Sehr gut«, meint er. »Der Wald ist hier zwar nicht ganz so artenreich wie der Tiefland-Regenwald im Amazonas, aber dafür ist das Gebiet erdgeschichtlich total alt, es gibt unglaublich viel zu entdecken.«
Wir machen ein paar Minuten bedeutungslosen Forscher-Small-Talk, und das macht mir Angst, weil es so etwas zwischen uns noch nie gab. Entfernen wir uns schon voneinander? Doch schließlich hebt Falk den Kopf und schaut mir in die Augen. »Du siehst blass aus – was hat Lindy dir erzählt?«, fragt er, und ich berichte ihm, wie sie mich verulkt hat. Falk schweigt lange, dann sagt er: »Sie hat wahrscheinlich nicht erzählt, dass sie ihre gesamte Familie im Drogenkrieg verloren hat, oder? Ihre Eltern, ihre Geschwister … alle erschossen, nur eine Cousine und sie haben überlebt.«
Mir verschlägt es die Sprache, ich kann Falk nur ansehen.
»Der Wald ist jetzt alles, was sie noch hat«, meint er leise.
Spontan stehe ich auf und gehe zu Lindy hinüber. Ich weiß nicht, was ich sagen oder tun soll, also schaue ich ihr einfach einen Moment beim Reiskochen zu. »Es tut mir leid, das mit deiner Familie«, sage ich schließlich lahm. »Wie kann man so etwas überleben? Im Kopf, meine ich. Im Herzen.«
Ohne aufzublicken, sagt Lindy: »Seither lebe ich jeden Tag, als sei es der
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