Schatten Des Dschungels
Stelle sogar eine falsche Fährte, indem ich rückwärtsgehe. Sie haben noch nicht aufgegeben, mich zu suchen, das weiß ich: Gegen Mittag höre ich den Hubschrauber wieder, aber ich bemerke niemanden in der Nähe und wandere einfach weiter, so rasch ich kann.
Ich glaube, du unterschätzt Cat.
Ohne es zu wissen, hat mir Falk ein letztes Geschenk gemacht. Seine Worte geben mir Kraft, treiben mich voran.
Gegen Mittag esse ich den Energieriegel, das hilft etwas. Trotzdem weiß ich, dass ich bald Nahrung finden muss. Auch einen Schlafplatz brauche ich, noch mal werde ich sicher keine Baumhöhle finden. Ich schneide Lianen und versuche, mir aus den zähen, schnurartigen Pflanzen eine Hängematte zu flechten. Aber aus meiner ersten Kreation kippe ich einfach wieder heraus und lande mit der Nase im Dreck. Mist, noch ein paar blaue Flecken mehr. Es ist schon fast dunkel, als ich es geschafft habe, etwas halbwegs Stabiles herzustellen.
Schließlich stelle ich das Gerät auf Sprachausgabe und -steuerung, einfach um mal wieder eine Stimme zu hören. »Du kannst heute etwas für mich tun, Sam.«
»Was denn?« Der Troll wackelt mit den spitzen Ohren und schaut mich halbwegs freundlich an.
»Erzähl mir eine Geschichte«, bitte ich ihn.
»Es war einmal ein kleiner Troll in einem tiefen, tiefen Wald …«
»Spar dir das. Hast du noch eine andere?«
Schließlich erzählt er mir mit einem fürchterlichen fake-portugiesischen Akzent ein paar Märchen aus Brasilien. Gar nicht übel und besser als manches, was Juliet und ich auf unsere Bildschirmwand daheim heruntergeladen haben. Diesmal fällt es mir ein wenig leichter, einzuschlafen.
Am nächsten Morgen juckt meine Kopfhaut und wieder steigt Panik in mir hoch. Ja, klar, ich habe einen Mundschutz getragen, aber vielleicht habe ich mir mal mit den verseuchten Handschuhhänden durch die Haare gestrichen oder so was? Ich versuche noch einmal, mich in einer spiegelnden Pfütze selbst zu betrachten. Dabei stelle ich fest, dass blondierte Haare durch Matsch nicht braun werden, sondern moosgrün. Und dass sich zwei Käfer in meine Haare verirrt haben. Ich schüttele sie heraus, sie machen sich hastig davon und jetzt juckt nichts mehr.
So gut es geht, versuche ich mich zu waschen und suche dabei den Rest meines Körpers ab. Bei jedem roten Fleck bleibt mir fast das Herz stehen, doch es sind vor allem Mückenstiche und kleine Abschürfungen von Ästen oder Dornen. Ich entdecke an meinem Bein und an meinem Ellenbogen Stellen, die wie Geschwüre aussehen, die machen mir Sorgen. Aber wenigstens sehen sie ganz anders aus als die Hautausschläge von Lindy. Und in meinem Mund schmerzt noch immer nichts.
Inzwischen habe ich brutalen Hunger und ein paar Marmeladengläser Wasser dämpfen ihn kaum. Es ist gut, dass ich genug zu trinken habe, ohne Wasser übersteht man keine zwei Tage. Ohne Essen angeblich bis zu zwei Wochen. Aber das ist kein großer Trost. Ich aktiviere Sam. »Sag mal, hast du einen Tipp, wo ich hier im Regenwald etwas zu futtern finde?«
Ein paar Millisekunden lang durchforstet mein zahmer Troll seine Datenbanken. »Ich hab hier etwas unter dem Eintrag ›Nehberg, Rüdiger‹. Überlebens- und Regenwaldexperte aus dem späten 20. Jahrhundert. Er empfiehlt, in solchen Situationen Ameiseneier zu essen, das ist pures Protein.«
»Ameiseneier? Das ist doch nur was für den hohlen Zahn.«
»Das kommt darauf an, wie viele du davon isst, my dear .« Jetzt klingt er wie ein englischer Butler und das passt gar nicht zu ihm.
Einen Versuch ist es wert. Zum Glück sind nicht alle Ameisen so riesig wie die, die mich gebissen hat; ich finde ein Nest, das nicht sonderlich gefährlich aussieht, diese Ameisen sind nicht größer als die, die ich aus Deutschland kenne. Mit einem Stück Rinde grabe ich das Nest auf und fördere ein paar Hundert empörte Bewohner und viele kleine weiße Eier zutage. Alles eingebettet in jede Menge Erdkrümel. So, und wie genau wird da ein Snack draus? Doch dann sehe ich eine Pfütze, die noch vom letzten Gewitter übrig ist, und habe einen Geistesblitz. Ich schmeiße die ganze Ladung einfach ins Wasser. Die Ameisen paddeln auf festen Boden zurück, die Krümel sinken nach unten und die Ameiseneier schwimmen auf der Oberfläche der Pfütze. Vorsichtig schöpfe ich sie ab … und zögere, sie in den Mund zu stecken. Stell dir einfach vor, es ist Popcorn, sage ich mir, aber ich schaffe es trotzdem nicht, mich zu überwinden.
Sam bemerkt über seine
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