Schatten Des Dschungels
Goldsucher ist. Großer Gott, diese Typen riskieren anscheinend jedes Mal ihr Leben, wenn sie in den Regenwald hineinfliegen. Und jetzt soll ich mit diesem Teil weggebracht werden. Wenn ich irgendeine Wahl hätte, würde ich mich dem Ding nicht mal nähern, geschweige denn einsteigen. Aber die Alternative wäre, zu Fuß nach Venezuela weiterzustolpern. Mit kaputten Schuhen.
Anscheinend will Edo sofort losfliegen, er startet schon den Rotor. Das Ding macht einen unglaublichen Lärm, wahrscheinlich flüchten jetzt alle Dschungeltiere im weiten Umkreis. Ist das sein Ernst, nach der Dosis Green Giant will er noch fliegen? Ja, sieht fast so aus. Jetzt winkt er mir zu und deutet auf einen der Sitze. Anscheinend war das vorhin schon Luís’ Abschied, mehr steht nicht auf dem Programm und auf eine Umarmung von Antonio oder X-Men lege ich sowieso wenig Wert. Geduckt haste ich auf den Hubschrauber zu und klettere an Bord. Ganz kurz wendet sich Edo zu mir um, auf einmal steht ein jungenhaftes Grinsen auf seinem Gesicht. Anscheinend fliegt er gerne, oder vielleicht ist er auch froh, endlich aus dem Wald rauszukommen und ein paar Stunden lang der Plackerei des Goldwaschens zu entfliehen. Er hilft mir, den Gurt festzuzurren, dann geht es los. Der Hubschrauber hat keinerlei Außenverkleidung, wir sitzen praktisch im Freien, nur durch eine verkratzte Plexiglasscheibe vor dem Fahrtwind geschützt. Ausgerechnet jetzt beginnt Edo, mir irgendetwas über seine gemeine Ex-Frau und den Charakter von Frauen im Allgemeinen anzuvertrauen, aber durch das laute Geknatter des Hubschraubers verstehe ich kaum etwas davon. Was vermutlich nicht weiter schade ist. Ich kann nur hoffen, dass er mich nicht aus der Maschine schubst, nur weil ich eine Frau bin.
Rüttelnd und schüttelnd steigt die Maschine zu den Baumkronen hoch, die Sonne brennt auf uns herab. Edo hält den Hubschrauber dicht über dem Kronendach, vielleicht, um nicht entdeckt zu werden. Die meisten Bäume sind ungefähr gleich hoch, aber einige ragen weit über die anderen hinaus. Edo scheint nicht zu bemerken, dass wir gerade auf einen dieser Riesen zufliegen. Jetzt füllt der Urwaldriese schon unser ganzes Blickfeld aus, spinnt Edo? Ich packe ihn an der Schulter, deute wie wild nach vorne, aber er lacht jetzt über das ganze Gesicht. Im letzten Moment legt er den Hubschrauber grob in die Kurve, ich rechne fast damit, dass die Zweige uns die Beine aufschrammen. Edo johlt wie ein Kind in der Achterbahn, ich dagegen schaffe nicht mal ein schwaches Lächeln. Stattdessen klammere ich mich an einer Strebe fest und hoffe, dass die ausgefransten Gurte halten. Mit der anderen Hand halte ich mein Pad fest. »Ich fänd’s besser, wenn du das erst auf dem Rückflug machst«, schreie ich, aber Edo runzelt nur die Stirn und sieht plötzlich wieder finster aus. Also halte ich lieber die Klappe und kneife bei der nächsten Achterbahn-Einlage die Augen zu. Es hilft nicht besonders viel.
Als wir schließlich schlingernd auf einem Dorfplatz aus gestampfter Erde aufsetzen, schnalle ich mich ab, so schnell es geht, und falle fast aus dem Hubschrauber heraus. Ich kann kaum glauben, dass ich diesen Flug überlebt habe.
Edo bleibt sitzen. »Aquí Venezuela«, sagt er und schaut plötzlich verwirrt drein, als wüsste er nicht genau, warum er eigentlich hier ist. Keine Frage, der ist immer noch high.
»Gracias«, sage ich, und um ihm einen Tipp zu geben, füge ich hinzu: »Fliegst du jetzt zu Luís und den anderen zurück?«
Sein kantiges Gesicht leuchtet auf. »Ja, genau.«
Übermütig lässt er den Hubschrauber um seine eigene Achse kreisen, als er hochsteigt. Dann zieht er so dicht über das Dorf hinweg, dass ich mich erschrocken ducke, und verschwindet knatternd über den Bäumen.
Besonders still wird es trotzdem nicht, denn sämtliche Dorfköter bellen wie verrückt. Ein Pulk aufgeregt plappernder Kinder mit kupferfarbener Haut sammelt sich um mich, um herauszufinden, wer hier vom Himmel gefallen ist. Dann kommen die Erwachsenen neugierig aus ihren Hütten mit den Wellblechdächern. Eine ältere Frau betrachtet mitleidig meine abgemagerte Gestalt, legt den Arm um meine Schultern und führt mich ins dämmerige Innere, in dem es nach gebratenem Gemüse riecht. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, und ich bin froh, als ich gleich eine Portion vorgesetzt bekomme. Die Frau spricht nur gebrochenes Spanisch, und ich verstehe kaum, was sie sagt. Sie scheint zu fragen, ob ich zu den anderen
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