Schatten eines Gottes (German Edition)
Castello. Ich möchte an dieser Stelle bezweifeln, dass die Katharer vernünftig denkende Menschen sind, wenngleich das Gemetzel bedauerlich war und es streng zu verurteilen ist. Aber ihr Glaube war doch etwas absonderlich und ihre Glaubenspraktiken lebensfeindlich. Wie die meisten unter euch wissen, sehen sie in unserer Welt den Akt eines bösen Schöpfers. Sie lehnen es ab, Kinder zu zeugen, weil auch Adam und Eva im Paradiese dies nicht taten. Das ist einfach bar jeder Vernunft, will ich meinen.«
»Andere behaupten auch, die Katharer würden die Katze auf das Hinterteil küssen, weil es als Tier Satans gilt!«, rief jemand aus den hinteren Reihen. »Daran sieht man nur, dass jeder Unsinn über die Katharer geglaubt wurde. Ich weiß jedenfalls, dass sie Armut, Bescheidenheit und Enthaltsamkeit zu ihren Tugenden zählten, weshalb sie der Kirche auch ein Dorn im Auge waren.«
»Ihr hattet keine Sprecherlaubnis, aber bitte!«, rief de Chartres. »Nennt Euren Namen!«
»Yves de Monthelon. Ich bitte um Verzeihung. Aber ich möchte noch hinzufügen, dass wir alle hier womöglich an irgendeinen Gott glauben, an Jesus, Allah, Mithras oder Jahwe, von den indischen Göttern will ich nicht reden und auch nicht von den unzähligen Völkern, die uns unbekannt sind. Viele von uns glauben auch an gar kein höheres Wesen. Doch das sollte nicht der Kern unserer Diskussion sein. Wir zeichnen uns dadurch aus, dass wir im Gegensatz zur römischen Kirche alle Strömungen tolerieren, die dem anderen seine Freiheit lassen. Religiöse Streitfragen sind unserer unwürdig, denn seit es Menschen gibt, haben sie Götter gehabt. Wer betet heute noch zu Zeus oder zu Jupiter, zu Isis und Osiris oder zu Wotan und Thor? Und doch waren sie zu ihrer Zeit einflussreich und mächtig. Alles auf Erden ist vergänglich, auch die Götter.«
»Und dennoch bedarf die Substanz eines Gefäßes«, erwiderte der Kardinal, »das Öl bedarf des Kruges, sonst versickert es nutzlos im Boden. Der Wein bedarf des Fasses, sonst könnte man ihn nicht gären und reifen lassen. Das Volk bedarf des Glaubens, sonst wird es haltlos. Deshalb haben wir uns entschieden, den Mithraskult wiederaufleben zu lassen, dem das Christentum gleicht, sodass die Volksseele keinen Schaden nehmen wird. Ob wir dabei die Legenden über Mithras für wahr halten oder nicht, dürfte keine Rolle spielen.«
Octavien schielte bei diesen Worten zu Nathaniel hinüber, der am linken Ende der Stuhlreihe saß, doch dieser verzog keine Miene.
Samuel ben Isaias wurde jetzt aufgerufen. Ein älterer Mann mit schütterem Haupthaar und langem, dünnem Bart erhob sich. »Die katholische Kirche gleicht einem Kornspeicher. Das Korn, das sind die Gläubigen, die ihr anvertraut sind. Dummheit, Frömmelei und Machtgier haben es jedoch verdorben, Ungeziefer hat sich darin eingenistet, und die Mäuse fressen es auf. Im Übrigen möchte ich hinzufügen, ich bin Rabbiner und glaube an den Gott meiner Väter Abraham und Isaak. Aber ich stimme meinen beiden Vorrednern zu. Die Religion darf uns nicht trennen bei unseren Vorhaben.«
De Chartres selbst meldete sich jetzt wieder zu Wort. »Wir haben nun einiges gehört, das uns bekannt war, das uns nachdenklich macht, das uns aber auch zu Taten antreiben muss. Ich wäre dankbar, wenn nach der allgemeinen Schilderung der Zustände, die wir alle beklagen, nun Vorschläge von euch kommen.«
»Der Papst muss weg!«
»Ja, Innozenz muss abgesetzt werden!«
»Wir können ihn entführen und einsperren.«
»Nein, er muss sterben!«
»Aber langsam!«
Jemand lachte.
Der Großmeister hob die Hände. »Einer nach dem anderen. Es ist keine leichte Sache, einen Papst zu ermorden. Was wirft man ihm vor?«
Einer der Kardinäle hob die Hand. »Francesco del Monte hat das Wort«, sagte de Chartres.
»Ich werfe diesem Menschen Größenwahn vor«, rief er mit überschnappender Stimme, wobei sich sein feistes Gesicht rötete. »Er erteilte nicht nur sich selber Dispens zum Bösen. Er wähnt, mehr göttlich als menschlich zu sein. ›Was ist der Mensch, was der Papst?‹, fragte Innozenz rhetorisch und gab sich selbst die Antwort: ›Der Mensch ist ein elendes und ganz auf die Gnade Gottes angewiesenes Geschöpf, der Papst ist wohl geringer als Gott, aber größer als der Mensch.‹ Er nennt sich ›König der Könige, Herrscher der Herrscher‹. Und er sieht sich nicht wie seine Vorgänger in der Nachfolge Petri, des Fischers. Vernehmt seinen neuen Titel: ›Statthalter Jesu
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