Schatten eines Gottes (German Edition)
dir nicht, das musst du mir glauben. Selbst jetzt, wo du vor lauter Verlegenheit nicht weißt, wie du mir recht geben sollst. Es spricht für dich, dass du so schlecht lügen kannst. Aber ich konnte mit dieser Schande nur fertig werden, weil ich Kuno von Eibenau getötet habe. Sein Blut hat meine Schande abgewaschen, verstehst du? Danach fühlte ich mich leicht. Es war ein befreiendes Gefühl, aber das kannst du nicht verstehen, weil du immer frei bist. Und das nur durch den Zufall der Geburt. Ist das dein Verdienst?«
Was sollte er antworten? Die Geburt adelt, so hatte er es gelernt. Wie ein Löwe immer nur ein Löwenjunges gebiert und keinen Hund, so gebiert Adel wieder Adel. Ein hochgeborenes Kind war vom Mutterleib an auserwählt. Gott selbst hatte es so bestimmt. Niemals hatte er daran gezweifelt. Auch jetzt wollte er sich nicht tiefer mit unbequemen Wahrheiten auseinandersetzen. An diese Dinge zu rühren, hieße, die altbewährte Ordnung infrage zu stellen, sie zu zerstören. Aber er schwieg, denn er hatte Angst, die falschen Worte zu gebrauchen.
Sie hatte mit ihrem Halbbruder verkehrt und sie hatte ihn getötet. Mit einer Frau dieser Vergangenheit durfte er sich in Aachen nicht blicken lassen, und an eine Ehe war schon überhaupt nicht zu denken.
»Ich bin froh, dass ich es dir gesagt habe. Es ändert sich jetzt doch nichts zwischen uns?«
In diesem Augenblick kam Ulrich herein.
Octavien sprang nackt, wie er war, aus dem Bett. »Wer seid Ihr? Was wollt Ihr hier?«
Ulrich schaute von Octavien auf Agnes, die sich die Bettdecke bis zum Kinn hochgezogen hatte, dann wieder auf Octavien und wusste, was die Stunde geschlagen hatte. »Ich wohne hier«, murmelte er.
»Ach so. Ihr seid dieser – äh – Ulrich?«
»Octavien! Geh doch zur Seite, du erschreckst ihn ja.«
Agnes lächelte Ulrich entschuldigend an. »Das ist er. Mein Tempelritter. Naja, er ist doch nicht so alt, wie ich sagte.«
Ulrich nickte. »Ich verstehe.«
»Tut mir leid, Ulrich, du warst immer für mich da, und ich habe dich sehr gern gehabt. Aber du bist eben mein – mein Bruder, das war doch klar zwischen uns, nicht wahr?«
»Mir tut es leid, dass ich gestört habe«, erwiderte er mit steinerner Miene. »Ich lasse euch schon allein.«
Octavien knallte die Tür hinter ihm zu. Eine halbe Portion, Gott sei es gedankt, aber immerhin ein Mann, der hier mit Agnes gewohnt hatte. Plötzlich wusste er, dass er den Gedanken, Agnes bei einem anderen Mann zu wissen, nie mehr ertragen würde, welche Vergangenheit sie auch immer haben mochte.
Übertrieben herrisch wandte er sich an sie. »Dieses Lotterleben muss nun ein Ende haben. Wenn du weiterhin bei mir bleiben willst, dann verhältst du dich in Zukunft wie ein tugendhaftes Weib, das ihrem Manne Ehre machen möchte, auch wenn wir noch nicht verehelicht sind. Hast du verstanden?«
»Ich hasse dich!«
Octavien griff zu seinem Rock, der über einem Stuhl hing, und schlüpfte umständlich hinein. »Hab nicht immer das letzte Wort, das ziemt sich nicht für eine Dame.«
»Ach, plötzlich bin ich eine Dame?«
»Damen sollten auch niemals sarkastisch sein, das steht ihnen nicht.«
»Ich bin dir sehr dankbar, dass du mich für eine hältst.«
»Wenn du mit mir reist, wirst du dich jedenfalls wie eine benehmen, das erwarte ich von dir. Dein bisheriges Leben geht mich nichts an, jetzt aber bist du in Begleitung eines Ritters und kannst dich nicht verhalten wie eine beliebige Dorfschönheit. Und wenn du schon anderer Meinung bist als ich, dann halte gefälligst den Mund.«
»Ich habe schon verstanden. Du willst ein adeliges Zierpüppchen an deiner Seite, das ständig die Augen niederschlägt und nur redet, wenn es angesprochen wird.«
Octavien lächelte und küsste sie flüchtig auf den Mund. »Richtig. Zum Beispiel, wenn der Pfarrer dich fragt, ob du meine Frau werden willst. Dann darfst du Ja sagen.«
»Oh, du scheußlicher Kerl!«, rief Agnes und umarmte ihn übermütig.
»Pass doch auf, Agnes! Jetzt hast du meinen Rock schmutzig gemacht.«
Rückkehr nach St. Marien
Sie hatten sich einem kleinen Reisezug von Kaufleuten und Pilgern angeschlossen. Emanuel, in ein weltliches Gewand gekleidet, sah man den ehemaligen Mönch nicht mehr an. Seine Tonsur bedeckte dichter Haarwuchs. Man hätte ihn für einen adeligen Junker halten können oder den begüterten Spross einer Kaufmannsfamilie, der bei den Welschen Geschäfte getätigt hatte. Dieses äußere Erscheinungsbild legte Zeugnis ab, wozu er
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