Schatten eines Gottes (German Edition)
leise klingelten. Es besaß eine Kapuze, an deren spitzem Ende eine Stoffpuppe mit aufgemaltem Grinsen baumelte. Bernardo zog sich das Gewand ehrfürchtig über.
»Ich danke dir, Vater. In einer närrischen Welt muss man den Menschen ein Narr werden.«
»Hast du gehört?«, murmelte einer, »er hat ›Vater‹ zu ihm gesagt.«
»Zum Papst?«
»Woher denn? Er spricht mit Gott – mit seinem Vater.«
Auf einmal hatten es alle eilig. Bernardo wurde zur Tür hinausgeschoben. Es ging über mehrere Treppen, durch Türen und Gänge, und plötzlich standen sie in einer großen Halle. Bernardo erhielt einen leichten Stoß, dann schlug die große Tür hinter ihm zu. Seine Begleiter waren auch verschwunden. Eine beträchtliche Anzahl Geistlicher war versammelt und starrte ihn an. Bernardo erkannte die Kardinäle, Bischöfe, Vikare und Priester an ihren Gewändern. Die Kirchenleute saßen hinter Bänken oder standen in Gruppen herum. Ihre Gespräche verstummten augenblicklich, es war so still, dass nur das Rascheln von Rocksäumen oder das Knistern von Brokat zu hören war.
Bernardo war verblüfft über diese Versammlung. Hier sah es nicht aus wie in einer Folterkammer oder auf der Richtstätte. Wollten diese Herren Gericht über ihn halten? Über einen Mann im Narrengewand?
Sie haben von mir gehört, aber mich nie gesehen,
dachte er.
Sie wollen den leibhaftigen Jesus Christus sehen, aber sie ertragen seine Gegenwart nicht, deshalb müssen sie ihn mit einem lächerlichen Gewand bekleiden, um ihn verspotten zu können, so wie die römischen Soldaten den Herrn verspottet hatten: ›Wenn du der Sohn Gottes bist, so steige herab von deinem Kreuz.‹ O ihr Heuchler, eure Stunde wird kommen, und eure Seidengewänder, Bischofskappen und Kardinalshüte werden im Staub zertreten.
Aus der Menge löste sich ein streng aussehender hagerer Mönch, der auf Bernardo zuging und ihm ein Pergament reichte.
»Lies vor!«, wies er ihn mit barscher Stimme an. Dann wandte er sich an die Umstehenden.
»Das ist der Mönch Bernardo von den minderen Brüdern, den einige für unseren Herrn Jesus Christus halten. Auf Weisung des Heiligen Vaters wird er jetzt seine ketzerischen Gebote verlesen, die er in seiner Umnachtung erfunden und als Gottes Wort ausgegeben hat. Uns allen, so der Wunsch Seiner Heiligkeit, soll hiermit kundgetan werden, dass nur ein Narr, dessen Sinne verwirrt sind, es wagt, unsere Mutter Kirche mit solchen dreisten Fälschungen betrügen zu wollen.«
Bernardo erkannte die lateinische Übersetzung der Zehn Gebote, die er dem Papst freiwillig überlassen hatte. Und er erkannte die Absicht. Er rasselte mit den Schellen an seinem Gürtel und begann dann, mit ruhiger Stimme die Gebote vorzutragen.
»Du sollst Gott von ganzem Herzen lieben und vertrauen …« Zwischendurch betätigte er immer wieder die Schellen, als wolle er die Herrenworte wie ein Marktschreier an den Mann bringen. Während seines Vortrages war ein Füßescharren und gedämpftes Murmeln zu vernehmen. Besonders beim letzten Gebot: ›Du sollst die Andersgläubigen nicht verachten, denn viele Wege führen zu Gott‹ mischte sich empörtes Raunen dazwischen. Doch niemand wagte ein lautes Wort oder einen Einwand.
Bernardo ließ das Pergament mit einem Lächeln sinken und rief:
»Ihr guten Menschen, jetzt dürft ihr Beifall klatschen und über den Narren lachen.«
Aber niemand lachte.
Der hagere Mönch trabte wütend auf ihn zu und riss ihm das Pergament aus den Händen.
»Schweig still, Ketzer!«
Dann wandte er sich an die Versammelten, hob die Arme und rief mit schneidender Stimme.
»Der Heilige Vater wünscht sich Gelächter. Er könnte sonst auf den Gedanken kommen, jemand nehme diesen Buben und sein Geschmiere ernst.«
Da fing Bernardo an zu lachen, und jetzt fielen die anderen ein. Es war ein zögerliches, ein befremdliches, ein krächzendes Gelächter.
Vor einem solchen Lachen muss es den Teufel in der Hölle grausen,
dachte Bernardo, als er wieder hinausgeführt wurde. Nun musste es doch endlich zur Richtstätte gehen, zum Ort des Martyriums, denn diese Vorstellung war keine Buße gewesen, sondern ein Vergnügen, wenn auch ein absonderliches. Doch man brachte ihn wieder in seine Zelle zurück.
In der Ecke lag noch seine abgelegte Kutte. Bernardo schlüpfte wieder in seine alte Kluft. Das Narrengewand rollte er zusammen, benutzte es als Kopfkissen und versuchte, sich ihre Gesichter ins Gedächtnis zu rufen, aber vor seinem Auge waberten nur farbige
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