Schatten eines Gottes (German Edition)
verbreiteten nicht nur bei ihren Feinden Furcht; man glaubte, sie seien unverwundbar und könnten durch die Luft fliegen. Der krummbeinige Omar, stolzer Besitzer von drei Kamelen, mit seinem Namensvetter von keinerlei Ähnlichkeit gedrückt, willigte schließlich für eine unverschämte Summe ein, dem Fremden, der behauptete, der Sohn eines Fürsten aus Akkon zu sein, den Weg zu zeigen. Jetzt, wo das düstere Gemäuer sich vor ihm erhob, wollte er keinen Schritt weitergehen.
»Said, wir sind da!«, rief er Sinan zu und wies mit ausgestrecktem Arm auf die Burg. »Mit Allahs Hilfe findest du den Weg nun allein.«
Sinan hatte den Wurm an seiner Seite nicht mehr beachtet. Er starrte auf die grauen Wände, die über den Felsen aufragten.»Ich bekomme fünfhundert Dirham!«, krähte Omar.
Sinan drehte sich zu ihm um. »Wir hatten achtzig ausgemacht.«
»Aber der Sheitan selbst hat diesen Weg gepflastert, und das Kamel, das du reitest, werde ich auch nicht wiedersehen.«
Sinan wollte ihm gerade eine passende Antwort geben, als von irgendwo her ein Pfeil heranzischte und sich vor den Füßen seines Kamels in den Boden bohrte. Aufmerksam sah Sinan sich um, aber er konnte keinen Schützen erblicken. Furcht hatte er keine. Er wusste, der Pfeil war nur eine Warnung gewesen. Gleichzeitig hörte er hinter sich eiliges Getrappel. Omar hatte sein Kamel gewendet und war in panischer Hast davongeritten. Als Sinan dieser Staubwolke hinterher sah, musste er lachen. Da sah er sich plötzlich von fünf vermummten Reitern umzingelt. Mochte Allah wissen, aus welchen Spalten und Abgründen sie heraufgekommen waren. Einer von ihnen hielt quer auf ihn zu.
»Wer bist du? Wer schickt dich?«
»Ich bin Sinan al Abu Yahya al Karim aus Akkon. Mich schickt Nathaniel, der Meister des Lichts. Ich habe eine Botschaft an Omar al-Mamun, dem Allah tausend Jahre schenken möge.«
»Zeige mir diese Botschaft, Mann aus Akkon.«
Sinan reichte ihm ein Pergament, das auf Griechisch und Arabisch verfasst war und das Sinan dem Oberhaupt der Nizaris empfahl. Der Mann überflog es, nickte kurz und sagte: »Folge uns.«
***
Der Emir Omar al Mamun war ein kleiner, drahtiger Mann mit schlohweißem Haar, das ihm unter einer bestickten Kappe hervorquoll und seine Ohren bedeckte. Sein Gesicht von dunkelbrauner Farbe war von Falten durchzogen, und seine tief in den Höhlen liegenden Augen unter buschigen Brauen musterten Sinan mit der kalten Berechnung eines Tigers. Er hatte das Pergament gelesen und zur Seite gelegt. Seine schmalen Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln, während er sich den dünnen Bart strich, der ihm bis auf die Brust reichte.
»Ich freue mich über die Grüße meines Bruders Nathaniel aus dem Lande der Franken. Er ist ein wahrer Freund des Islam und des Friedens.«
Sinan schlürfte ein köstlich kühles Getränk, das mit Honig und Minze gewürzt war, und neigte höflich das Haupt. Auf dem Weg in diesen Raum, wo er dem Herrscher der Nizaris gegenübertreten durfte, hatte er sich genau umgesehen. Die Anlage war schmucklos, aber die perfekte Festung. Jede Nische an der Mauer, jede Öffnung konnte auf schmalen Gängen unverzüglich erreicht und mit Kämpfern besetzt werden, als erwarte man auf der Burg jederzeit den Angriff eines riesigen Heeres. Sinan hatte gehört, Masyaf sei uneinnehmbar, und jetzt wusste er, warum.
Die Assassinen waren bei Freund und Feind gleichermaßen verhasst und gefürchtet, denn bei ihnen wusste man nie, wen sie als ihre Feinde betrachteten oder wer sich zu ihren Freunden zählen durfte. Sinan, der eine einem Fidawi ebenbürtige Ausbildung erhalten hatte, war beeindruckt, dem Manne gegenüberzusitzen, der eine ganze Armee von Mördern befehligte. So wie er die Befehle des Meisters ausgeführt hatte, so hoffte er, nun auch Omar al Mamun dienen zu können. Jedenfalls so lange, bis er wieder nach Hause zurückkehren konnte. Denn zurück wollte er. Er hatte dort noch eine Aufgabe.
Nachdem der Emir eine Weile über höfliche Nichtigkeiten geplaudert hatte, die Sinan ebenso höflich erwiderte, wechselte dieser plötzlich das Thema.
»Dein Meister bittet darum, wir möchten dich in unsere Gemeinschaft der Nizaris aufnehmen.« Er machte eine Pause und langte in eine silberne Schale mit Gebäckstückchen und Süßigkeiten. »Das ist leider nicht möglich.«
Sinan verärgerte dieser herablassende Ton, aber er beherrschte sich. »Darf ich fragen, warum nicht? Ich habe eine hervorragende Ausbildung erhalten und bin
Weitere Kostenlose Bücher