Schatten eines Gottes (German Edition)
die Unterstadt bot. Die Villa stand noch in ihrer alten Pracht, aber seit die Kreuzritter sie geplündert hatten, war das Fürstentum der Karims dahingegangen. Mahmud al Karim war dennoch ein angesehener Mann in Akkon. Er betrieb einen Handel mit Luxuswaren, wie kostbaren Tuchen, Hölzern, Edelmetallen und Sklaven. Nebenbei studierte er den Koran und andere Schriften, wozu ihm sein Vermögen genügend Muße verschaffte.
Die Ankunft seines Neffen überraschte ihn nicht, und das lag an dem Mann, der seit einigen Tagen bei ihm auf Besuch war. Zakariya al Mansur hatte ihn darauf vorbereitet, dass nämlicher Neffe ihn aller Wahrscheinlichkeit nach bald aufsuchen werde. Außerdem hatte er ihm alles Wissenswerte über Sinan erzählt, von seiner Bestimmung und seinen Aufgaben. Mahmuds Bedenken, die Brüder möchten ihr Erbe verlangen, zerstreute Zakariya. Sinan gehorche seinem Meister, und diesem liege nichts daran, dass Sinan sich in Akkon als Kaufmann zur Ruhe setze. Und von Sarmad, seinem Bruder, sei Selbiges ebenso wenig zu befürchten, da er ein Mönch geworden sei.
Daher gestaltete sich Sinans Aufenthalt angenehm und in freundlicher Atmosphäre. Er selbst brachte seine Rechte nicht zur Sprache, denn ihm lag nichts an dem Haus. Er wollte auch nicht in Akkon bleiben, nur solange es eben erforderlich war. Für diesen Zeitraum gewährte ihm sein Onkel großzügig Obdach. Mahmud sprach von alten Zeiten, von Sinans Eltern, von dem Überfall der Ungläubigen und wie die Kinderfrau Vanisha ihn und Sarmad beschützt hatte. Sie sei inzwischen mit einem guten und wohlhabenden Mann verheiratet. Ob Sinan sie besuchen wolle. Sinan wollte nicht. Er war dieser Frau dankbar, aber schließlich war sie eine Fremde für ihn. Seine sarazenische Vergangenheit hatte wenig mit ihm zu tun.
Die ersten Wochen durchstreifte Sinan die Stadt und nahm die Buntheit orientalischen Lebens hungrig in sich auf. Aber ein Mann wie er brauchte Abwechslung, Abenteuer und Herausforderungen wie die Luft zum Atmen. Ohne die Kreuzfahrer wäre Akkon seine Heimat gewesen. Nun hatte das Schicksal ihn an den Ort seiner Geburt zurückgeführt, doch er fühlte sich fremd und getrieben, denn er war ohne Aufgabe und ohne Ziel. Das, wofür er gelebt hatte, für den Untergang des Christentums und einen strahlenden Neuanfang unter Mithras, war hier nichts wert. Niemand träumte hier von einer Umwälzung der Dinge. Das Dasein war geprägt von Inschallah, so Gott will. Doch seinen Willen mochte Sinan an keinen Gott abtreten.
Außerdem hatte sein Onkel Mahmud ihn gebeten, keinesfalls auf Märkten und Plätzen mit seiner Laute aufzutreten und zu singen, das sei eines Karims unwürdig. Wenn er das im abgeschlossenen Hof zu seinem eigenen Vergnügen tun wolle, so sei das etwas anderes. Sinan merkte bald, dass ihm Akkon zum Gefängnis werden würde. Er war es gewohnt, nach eigenen Regeln zu leben. Die Freiheit, zu tun und zu lassen, was er wollte, betrachtete er als das höchste Gut. Er hatte nur einen Meister, alle anderen hatten sich nicht einzumischen.
Eines Tages bat ihn Zakariya, der sich manchmal tagelang nicht blicken ließ, zu einem Gespräch in einem der kleinen abgeschiedenen Höfe des Anwesens.
Zakariya war ein Mitglied der Bewegung und ein Freund seines Meisters, das wusste Sinan, aber er lernte ihn hier zum ersten Mal persönlich kennen. Der Sohn des einstigen Statthalters von Antiochia war eine Ehrfurcht gebietende Erscheinung. Seine Familie war wohlhabend und hatte viele Gelehrte aufzuweisen. Die offizielle Macht hatte Zakariya nicht wieder erlangt, aber er verfolgte geduldig seine Ziele und zog überall im Land seine Fäden. Er wollte die arabische Kultur, die er anderen gegenüber für überlegen hielt, in Europa verbreiten und die Religionen angleichen, damit sich Christen und Muslime nicht eines Tages gegenseitig zerfleischten, was unweigerlich den Niedergang jeglicher Kultur zur Folge gehabt hätte. Zweifellos ein hehres Ziel, aber in der Verfolgung war Zakariya nicht minder skrupellos wie sein Freund Nathaniel.
Er hatte Sinan beobachtet und festgestellt, dass dieser, obgleich ein kluger Kopf, für Gelehrsamkeit wenig Geduld aufbrachte. Er hatte eine Vorliebe für ausgefallene Waffen, außerdem liebte er die Musik, den Gesang, und daneben beherrschte er allerlei Fertigkeiten, wie sie Taschenspieler und Gaukler auf Jahrmärkten feilboten. Keine Talente, die sein Onkel Mahmud schätzte, aber lauter Fähigkeiten, die für einen Fedajin nützlich waren.
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