Schatten eines Gottes (German Edition)
Sieglinde wurde blass unter ihrer weißen Haube, unter der kein einziges vorwitziges Haar hervorlugte. Was hatte sich Gottlieb dabei gedacht, einfach ihren Befehl zu missachten?
Octavien wollte lachend auf seine Mutter zueilen, doch da erhob sie sich wie eine Rachegöttin und wies mit dem Finger auf Agnes, die mit verkniffener Miene im Hintergrund stand und knickste. »Hinaus mit dieser Dirne!«, zischte sie.
Agnes öffnete den Mund, doch Octavien stellte sich rasch vor sie und hob abwehrend den Arm. »Mutter, das ist Agnes, und sie ist …«
Sieglinde wandte verachtungsvoll das Gesicht ab. »Mädchen!«, rief sie, ohne Agnes eines Blickes zu würdigen, »verlasse auf der Stelle mein Gemach. Ich wünsche, mit meinem Sohn allein zu sein.«
Octavien tat einen Schritt auf sie zu. »Mutter! Sie wird nicht gehen.«
Sieglinde tat, als habe sie nichts gehört. »Weshalb hat man meinen Befehl missachtet, den ich Gottlieb gab?« Sie sah Octavien ins Gesicht. »Deine Buhle mag in der Mägdekammer warten.«
»Gottlieb trifft keine Schuld, Mutter.« Noch war Octaviens Stimme ruhig, aber es brodelte bereits in ihm. »Ich selbst bat Agnes, mich zu begleiten, damit gleich von Anfang an Klarheit herrscht.«
»Klarheit? Welche Klarheit?«
»Ich werde Agnes zu meiner Frau machen.«
Sieglinde stieß ein schrilles Lachen aus. »Das ist absolut lächerlich!«
»Vielleicht ist es lächerlich, Mutter, aber es ist mein fester Wille.« Octaviens warme Stimme war hart geworden. Er hatte sich das Treffen schlimm vorgestellt, aber es war noch schlimmer.
»So!« Sieglinde stemmte undamenhaft die Hände in die Hüften. »Und weshalb willst du ein Flittchen heiraten, das außer einer schönen Larve nichts zu bieten hat? In welcher Badestube hast du sie denn aufgelesen?«
»Ich dulde nicht, dass du meine zukünftige Frau beleidigst«, erwiderte er scharf. »Es muss dir genügen, wenn ich dir sage, dass ich sie liebe. Außerdem ist Agnes …«
»Liebe?«, höhnte Sieglinde und stieß ein spöttisches Gelächter aus. Sie schloss die Augen zu einem Spalt und gönnte Agnes einen flüchtigen Blick. »Ja, sie ist hübsch, und niemand verbietet dir, dich mit ihr zu vergnügen. Aber seit wann werden Ehen in unseren Kreisen aus Liebe geschlossen? Sei doch nicht so naiv, Octavien. Ich dachte, ich hätte dich besser erzogen. Ich werde niemals dulden, dass eine Hergelaufene den Namen Saint-Amand trägt.«
Agnes stand da mit geballten Fäusten und loderndem Blick. Ihre Geduld mit dieser Frau war erschöpft, mochte sie tausendmal Octaviens Mutter sein. Sie musste sich nicht beleidigen lassen, schon gar nicht von so einer, die angeblich auf gute Manieren Wert legte, aber selbst keine besaß. »Mit Verlaub!«, rief sie unbeherrscht, während ihre Stimme vor Empörung zitterte, »ich bin keine Hergelaufene. Mein Name ist Agnes von Eibenau, und mein Vater ist Hartwig von Eibenau, Landvogt zu Sponheim in der Pfalz. Somit dürfte die Angelegenheit mit dem Standesunterschied wohl geklärt sein!« Sie beendete ihre Aussage mit einem selbstzufriedenen Nicken.
Octavien stöhnte leise, während Sieglinde abwägend den Kopf neigte und ihre Blicke zwischen Agnes und ihm hin und hergingen. »Ist das wahr?«, fragte sie ihren Sohn.
Octavien nickte stumm. Sieglinde wollte dieses Schweigen nicht gefallen. Weshalb hatte er das nicht gleich gesagt? Sie sah Agnes voll ins Gesicht. »Verkaufe mich nicht für dumm, Mädchen. Wenn du wirklich von Stand bist, weshalb kleidest du dich wie eine Landfrau mit weiten Hosen und offenen Haaren?«
»So kann ich besser reiten«, gab Agnes schnippisch zurück. Sie trat noch einen Schritt vor, um Octavien zu zeigen, dass sie sich nicht einschüchtern lassen würde. »Und unter einer Haube ersticke ich. Ich brauche den Wind in meinen Haaren.«
»So redet eine Schankmagd, aber keine Dame von Stand«, gab Sieglinde verächtlich zurück. »Man erkennt sich an den Umgangsformen. Hat Hartwig von Eibenau dir eine so schlechte Erziehung angedeihen lassen? Und weshalb kommt er nicht selbst und macht mir seine Aufwartung, wenn seine Tochter mit meinem Sohn den Bund der Ehe schließen möchte?«
»Ich – na, ich war schon lange nicht mehr auf der Burg, ich war – in einem Kloster. Ja, jahrelang habe ich in einem Kloster gelebt.«
»Mädchen! Du darfst lügen, aber nicht so unverschämt. Mein Sohn wird dich kaum in einem Kloster kennengelernt haben.«
»Äh – nein, seit einem Jahr bin ich …«
»Schweig! Für mich ist es ein
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