Schatten eines Gottes (German Edition)
stieß ein spöttisches Lachen aus. »Die Herren Ritter und Grafen scheinen sich bei meiner Tochter nur so die Hand zu geben. Aber offensichtlich ist sie klug genug gewesen, Euren Versprechungen nicht zu glauben und hat sich zeitig davon gemacht. Ich bin nur eine Schankwirtin, aber meine Tochter ist keine für den Heuschober, Herr … ich habe Euren Namen vergessen.«
»Octavien de Saint-Amand. Ich versichere Euch, dass ich es ernst meine mit Agnes. Ich kann Euch alles erklären. Seht, ich weiß, dass Agnes diesen Kuno von Eibenau …« Er beugte sich jetzt zu Johanna und fuhr flüsternd fort: »Dass sie ihn in Notwehr getötet hat. Ich weiß alles von ihr. Bitte gebt mir Gelegenheit, von ihr zu erzählen. Von ihr und von unserer Liebe.«
Johanna schwankte. Was dieser Mann sagte, klang aufrichtig, und sie war begierig, etwas von Agnes zu hören. Ihr letztes Schreiben war aus Rom gekommen. Es ginge ihr gut, hatte sie geschrieben. Aber Rom! Ein fremdes Land, fremde Menschen. Und doch hatte ihre Agnes es geschafft. Johanna war stolz auf sie gewesen und glücklich. Aber nun hatte sie lange nichts mehr von ihr gehört. Konnte sie diesem Octavien vertrauen? Auch Kuno hatte zu schmeicheln gewusst und zu betören. Dennoch! Sie wusste, dass sie ihn anhören musste. Deshalb nickte sie. »Aber nicht hier. Wir gehen auf mein Zimmer.«
Sie redeten stundenlang. Und am Ende hatte Johanna den Eindruck, diesen Mann schon lange zu kennen. Als die letzten Gäste gegangen waren, redeten sie immer noch. »Ich weiß nicht, wo Agnes sich jetzt aufhalten könnte«, sagte Johanna, »aber Ihr seid nicht vergeblich gekommen. Ich kann Euch etwas geben.«
Sie holte einen Kasten, öffnete ihn und entnahm ihm eine Schriftrolle. »Bitte nehmt und lest. Das gab mir Hartwig, nachdem er erfahren hatte, dass Agnes nicht im Kloster eingetroffen war, sondern verschollen. Er bestätigt darin, dass Agnes seine leibliche Tochter ist. Außerdem versichert er, dass sie am Tode seines Sohnes Kuno unschuldig ist. Es ist beglaubigt von einem Notar aus Mainz. Ich sollte das Dokument nur im Notfall benutzen, und ich denke, jetzt ist dieser Notfall eingetreten.«
Octavien las das Dokument durch, dann sprang er auf und umarmte Johanna herzlich. »Jetzt kann meine Mutter keine Einwände mehr erheben. Warum sind Agnes und ich nicht gleich zu Euch gekommen?«
»Für Agnes war es gefährlich, sich hier blicken zu lassen. Doch nun könnte sich alles zum Guten wenden.«
»Könnte? Es muss! Was soll uns nun noch trennen?«
»Zuerst müsst Ihr Agnes finden.«
»Das werde ich schon.« Octavien machte die Freude zuversichtlich. Er blieb über Nacht im Annenhof. Am nächsten Tag verabschiedete er sich mit den Worten: »Wenn ich Agnes gefunden habe, gibt es eine große Hochzeit auf Dreieichen. Ich verspreche Euch, Ihr werdet eine stolze Brautmutter sein.«
Es drängte ihn, rasch nach Dreieichen zurückzukehren und seiner Mutter das Dokument triumphierend auf den Tisch zu schleudern, doch dann sagte er sich, ohne Agnes an seiner Seite sei das Zeitverschwendung. Sie würde es noch rechtzeitig erfahren. Vordringlicher war es, sie zu finden.
Es war wohl das Bild, das er immer noch von ihr hatte: Agnes an der Stadtmauer von Mainz. Dorthin trieb ihn seine Suche zuerst. Doch die Händler waren ihm unbekannt, und niemand hatte eine Frau wie Agnes gesehen. Der Holunderbusch war inzwischen gewachsen, aber in seinem Schatten hockte jenes hutzelige Männlein, dem Agnes seinerzeit ihren Stand geschenkt hatte. Nein, nach Mainz war sie nicht zurückgekehrt.
Als Octavien aus dem Tor hinaus ritt, war ihm recht elend zumute. Er begriff, dass es sinnlos war, sie ohne jeglichen Anhaltspunkt zu suchen. Und als er abends allein und trübsinnig in einer Schenke saß, da fiel ihm plötzlich Emanuel ein. Wie schön wäre es, ihn jetzt an seiner Seite zu haben. Gemeinsam mit ihm könnten sie alle großen Städte besuchen, von Lübeck bis Rom. Sie hätten sicherlich viel Kurzweil unterwegs und müssten vielleicht manches Abenteuer bestehen. Unterwegs würden sie Kaufleute, Händler, Pilger und andere Reisende befragen können. Sie würden Agnes nachspüren wie seinerzeit der unbekannten Reliquie.
Wie mochte es dem Mönch gehen? War er in St. Marien geblieben oder wieder nach Altenberg zurückgekehrt? Indem sich Octavien diese Fragen stellte, ergriff ihn die Sehnsucht nach den Antworten. Was hinderte ihn daran, Neubabylon einen kurzen Besuch abzustatten, seinen Freund wiederzusehen und
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