Schatten eines Gottes (German Edition)
gehen.«
Lisa knickste. »Wenn der hochwohlgeborene Herr so gütig sind. Dann will ich mal. Gibt nämlich Pfannkuchen heute. Die sollten der gnädige Herr mal probieren.«
Johanna räusperte sich ungehalten, doch Hartwig von Eibenau nickte. »Das würde ich gern, wenn meine Geschäfte dies zuließen. Ich glaube, ich werde unserem Koch auftragen, heute Abend welche zu backen.«
Er zwinkerte Lisa zu, verbeugte sich formvollendet vor Johanna, indem er seinen Hut schwenkte, und verließ das Anwesen.
Lisa hatte vor Aufregung die Sache mit dem Schwein vergessen. »Der Landvogt, der kommt Euch besuchen? So ein feiner Herr und so nett ist der.«
Ihr Blick fiel auf die Scherben der Schüssel. »Hat die der gnädje Herr …?«
»Ach Lisa«, unterbrach Johanna seufzend ihren Wortschwall. »Fege die Scherben auf und kümmere dich um den Teig. Ich fühle mich nicht wohl. Ich glaube, ich muss mich ein bisschen hinlegen.«
***
Auf einer Anhöhe im Schatten zweier mächtiger Felsblöcke saß Agnes und schickte ihre Blicke hinunter ins Tal, wo der große Strom sich wie ein silbergraues Band durch die hügelige Landschaft wand. Sie selbst war hier allen Blicken entzogen, es sei denn, jemand hätte sich die Mühe gemacht, den steinigen Weg heraufzuklettern, den sie gekommen war. Sie hatte diese kleine Lichtung unterhalb der Felsen, die von dichtem Farnkraut und Dornenbüschen verdeckt gewesen war, durch Zufall entdeckt. Ein kleiner Zufluchtsort, wie gemacht für sie, um hier die Nacht zu verbringen. Die großen Drudensteine flößten ihr Vertrauen ein, sie würden sie beschützen, denn seit alters her waren sie Tummelplätze der Erd- und Luftgeister. Die kreisrunde Lichtung wies zudem auf einen magischen Ort hin, an dem ihre Kräfte sich bündelten und verstärkten. Natürlich musste man wissen, wie man sie anredete und mit ihnen umging. Sie waren nicht böse, aber launisch, und wer sie verärgerte, dem spielten sie übel mit. Agnes wusste, mit welchen Sprüchen man sie besänftigte und welche Zeichen man in die Stämme der Bäume ritzen musste, um die bösen Geister fernzuhalten, die stets darauf lauerten, in diesen geweihten Ort einzubrechen.
Sie war gelaufen, gerannt, ohne Richtung, ohne Ziel, quer durch das Dickicht, hügelaufwärts und wieder hinunter, nur fort von dem grässlichen Karren, der sie an einen grauenvollen Ort bringen sollte. Noch immer hallte der schreckliche Begriff in ihren Ohren, den ihre Mutter ausgesprochen hatte: in ein Kloster! Sie sollte lebenslang in einem Gefängnis voller Nonnen sitzen, die den Christengott anbeteten, ihn ihren Bräutigam nannten und mit einem blutenden Leichnam am Marterholz Hochzeit halten mussten.
Sie dienten einem fremden Gott aus dem Osten, der die weisen und wunderbaren alten Götter vertrieben hatte. Der den Wäldern, den Flüssen, den Seen, ja allem, was lebte, wuchs, blühte, wisperte, rauschte und murmelte, die Seelen geraubt und an ihre Stelle etwas Wesenloses gesetzt hatte, das in Talaren nistete, in kalten, dunklen Kirchen hauste und seine Diener zu Gräueltaten anstiftete. Sie verkündeten, man müsse ihn lieben, wo doch jedermann wusste, dass er nur Hass unter den Menschen verbreitet hatte. Seuchen, Kriege und Hungersnöte hatten das Land überflutet wie schwarzer Schlamm, doch die Kirchendiener waren nicht in ihm erstickt. Sie verbrannten Menschen auf Scheiterhaufen und nannten es christliches Erbarmen.
Hatte sie Strafe verdient? Sie hatte getötet, ja, aber es war Notwehr gewesen. Zumal Kuno, wie die Mutter sagte, ihr Halbbruder gewesen war. Das Kloster biete ihr Schutz, und der Landvogt sei sehr großmütig gewesen. Sie müsse ihm dankbar sein. Dankbar? Wofür? Dass er die Mutter wie eine beliebige Magd geschwängert hatte? Er hatte sich nie um seine Tochter gekümmert, und dann, als es ein Problem gab, wurde dieses Problem abgeschoben, und der Herr erwartete noch Dankbarkeit!
Im Kloster eingesperrt zu sein, stellte sich Agnes wie eine tägliche Folter vor, die einem jede Lebenskraft aussaugte, bis man nur noch ein blutleeres Gespenst war, das den Tod herbeisehnte. Agnes kannte bessere Arten zu sterben, und wenn es denn sein musste, dann wollte sie selbst Zeit und Ort bestimmen. Sie war jedoch klug genug gewesen, ihrer Mutter nicht zu widersprechen. Sie hatte sich gefügt und die gehorsame Tochter gespielt.
Die Knechte des Landvogts, die sie auf dem Weg nach Nürnberg begleiteten, waren tumbe Gesellen. An einer Stelle, wo der Wald am finstersten war, bat sie
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