Schatten ueber Broughton House
Stoffen und funkelnden Juwelen.
Megan konnte ihre Vorfreude kaum mehr unterdrücken. Sie gehörte keineswegs zu jenen, die sich nach Glanz, Reichtum und Raffinesse sehnten, doch sie musste sich eingestehen, dass es gar nicht so schlecht wäre, hin und wieder an diesem illustren Leben teilhaben zu können.
Viele der Ausstellungsstücke waren entfernt oder dicht an die Wände gerückt worden, um Platz für die zahlreichen Gäste zu schaffen. Der größte Raum war freigeräumt, und ein kleines Orchester machte sich bereit, um zum Tanz aufzuspielen.
Kaum hatte sie das Museum betreten, überkam Megan jedoch dasselbe seltsame Gefühl, das sie auch gehabt hatte, als sie kürzlich zu ihrem Vater und Deirdre gelaufen war - sie fühlte sich beobachtet. Unauffällig sah sie sich um und entdeckte sogleich Lady Helena Scarle, die etwas erhöht auf der Haupttreppe stand - wohl um besser gesehen zu werden, wie Megan vermutete - und mit böse funkelnden Augen auf Megan herabblickte. Ihr schönes Antlitz verwandelte sich kurz in eine wutverzerrte Maske, bevor sie zu ihrer höflich lächelnden Fassade zurückfand. Sie wandte sich dem Mann neben ihr zu, schaute ihm hingerissen in die Augen und ließ ein hell perlendes Lachen erklingen.
Sollte sie diese Szene eigens Theo zugedacht haben, so war alle Mühe vergebens, dachte Megan bei sich. Denn Theo, der gerade in ein Gespräch mit Rafe vertieft war, schien Lady Helena nicht einmal zu bemerken.
Megan sah Kyria an, die höchst zufrieden aussah. Offenbar war auch ihr Lady Scarles Reaktion nicht entgangen.
„Kommen Sie, ich werde Sie einigen Leuten vorstellen.“ Sie nahm Megan bei der Hand und führte sie zu einer kleinen Gruppe Frauen.
Megan fiel auf, dass die anderen Frauen sowohl interessiert als auch argwöhnisch wirkten, als Kyria ihnen Megan als eine Freundin aus Amerika vorstellte.
„Noch eine Amerikanerin?“, fragte eine der Damen und hob die Brauen. „Wie ungewöhnlich. Sie sind schon die zweite Amerikanerin, der ich heute Abend begegne.“
„Oh, wirklich?“, erwiderte Megan, da sie an sich nicht wusste, was sie darauf erwidern sollte.
„Oh ja. Wie hieß noch mal dieses Mädchen, das mit Barchester hier ist?“
„Ah ja, ich weiß schon ... kleines ruhiges Ding“, erinnerte sich eine andere Dame. „Aber den Namen weiß ich nicht mehr.“
„Barchester?“, fragte Megan nach, und ihr wurde ganz flau im Magen. Eine junge Amerikanerin in Begleitung Mr. Barchesters?
Sie schaute sich um und hoffte, nicht allzu neugierig zu wirken.
„War es nicht ein irischer Name?“, meinte die erste Dame.
Nun hatte Megan kaum noch Zweifel, dass über Deirdre gesprochen wurde. Mr. Barchester musste sie mit sich auf den Ball gebracht haben. Der Gedanke versetzte Megan in leichte Panik. Was, wenn Theo Deirdres Nachnamen hörte und sich dabei an Dennis erinnerte? Glücklicherweise, dachte Megan dann ein wenig erleichtert, sahen sie und Deirdre sich nicht allzu ähnlich, sodass Theo wohl zumindest nicht darauf kommen würde, dass sie miteinander verwandt seien.
Während sie an Kyrias Seite umherschlenderte, sah Megan sich unauffällig nach ihrer Schwester um, konnte sie jedoch nirgends entdecken.
Nach einer Weile gesellten sich Rafe und Theo wieder zu ihnen, und weil Rafe mit seiner Gemahlin bald auf die Tanzfläche entschwand, fand Megan sich mit Theo allein.
„Ich bin schon von allerlei Herren bestürmt worden, die Ihnen vorgestellt werden wollten“, bemerkte er und sah sie erfreut an.
„Wahrscheinlich glauben sie, ich sei eine amerikanische Erbin, da ich in Begleitung Ihrer Familie hier bin. Sagen Sie ihnen einfach, dass ich die Hauslehrerin bin, und meine Verehrer werden sich in Luft auflösen. “
Er schmunzelte. „Vielleicht hätte ich das probieren sollen -wenngleich ich fürchte, dass nicht jeder sich davon hätte abhalten lassen. So habe ich ihnen einfach gesagt, Ihre Tanzkarte sei schon voll.“
„Und ich darf jetzt Mauerblümchen spielen?“, erwiderte Megan mit gepielter Entrüstung. Eigentlich hatte sie kein allzu großes Verlangen, die Tanzfläche zu betreten, da sie nicht sicher war, ob das, was sie sich gemeinsam mit Deirdre beigebracht hatte, den Maßstäben der Londoner Gesellschaft genügen würde.
„Sie sollten den Engländern etwas mehr Beharrlichkeit zubilligen“, entgegnete er. „Wahrscheinlich beknien sie nun meine Eltern, Ihnen vorgestellt zu werden. Ich bin mir sicher, dass Sie heute noch zahlreiche Einladungen zum Tanz bekommen. Weshalb
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