Schatten ueber Broughton House
aller Öffentlichkeit küssen würde ...
Da drang eine schrille Frauenstimme zu ihnen und machte den Moment zunichte. „Lord Raine, da sind Sie ja! Was fällt Ihnen ein, sich hier unten zu verstecken?“
Megan fühlte sich ertappt und trat schuldbewusst einen Schritt zurück. Theo fluchte leise und drehte sich um. Lady Scarle kam zu ihnen herüber, ein strahlendes Lächeln auf den Lippen, das jedoch ihre unheilvoll funkelnden Augen nicht zu erreichen vermochte.
Sie trug ein königsblaues Satinkleid, welches das Blau ihrer Augen noch vertiefte, für Megans Geschmack jedoch mit eindeutig zu vielen Rüschen, Schleifen und Spitzen besetzt war. Ihre Taille war zu einem Nichts zusammenschnürt, und ihr üppiges Dekollete wölbte sich so bedrohlich über dem weiten Ausschnitt, dass ein unschicklicher Zwischenfall jederzeit möglich schien. Um den Hals trug sie eine Kette mit Saphiren und Diamanten und an den Ohren dazu passende Gehänge. Selbst in der kunstvoll aufgesteckten Frisur blitzten Diamanten und Saphire.
Lady Helena ist alles, was ich nicht bin, dachte Megan: reich, betitelt, auf verführerische Weise schön und für Männer verlockend. Sie wusste genau, wie sie zu gehen und zu reden hatte, wie man sein Gegenüber korrekt mit einem der vielen verwirrenden Adelstitel ansprach und welcher Ton den Dienstboten gegenüber anzuschlagen war. Sie war in derselben Welt aufgewachsen wie Theo. Auf ihren Wangen zeigte sich nicht ein Hauch von zimtfarbenen Sommersprossen, ihr Haar war nicht von gewöhnlichem Braun und zeigte keinerlei Neigung, sich unbändig zu locken. Während sie Lady Scarle in all ihrer Vollkommenheit auf sich zukommen sah, wurde Megan von einem tiefen Gefühl der Abneigung überkommen.
Ohne Megan auch nur eines Blickes zu würdigen, rauschte sie auf Theo zu, legte ihm ihre Hand auf den Arm und sagte mit leiser und vertraulicher Stimme: „Ich habe einen Walzer für Sie freigehalten.“
Theo verzog keine Miene und erwiderte kühl: „Wie aufmerksam von Ihnen.“
Nun wäre die perfekte Gelegenheit, dachte Megan, sich flugs davonzumachen und Deirdre zu suchen. Lady Scarle würde Theo eine Weile in Beschlag nehmen. Aber Megan rührte sich nicht von der Stelle. Nein, sie wollte Lady Scarle bestimmt nicht glauben machen, dass sie sich von ihr vertreiben ließe!
„Lady Scarle“, fuhr Theo fort und lächelte Megan an, „Sie erinnern sich gewiss an Miss Henderson.“
„Lady Scarle“, grüßte Megan höflich.
Lady Helena ließ flüchtig ihren Blick über Megan schweifen, erwiderte den Gruß mit einem kurzen Kopfnicken und wandte sich wieder an Theo. „Raine, das Orchester spielt wahrlich die herrlichsten Walzer! “
Ihr unhöfliches Benehmen brüskierte Megan so sehr, dass sie es sich nicht verkneifen konnte zu sagen: „Oh ja, das stimmt. Lord Raine und ich haben soeben zu einem getanzt.“
Der Blick, mit dem Lady Scarle Megan diesmal bedachte, war vernichtend. „Was Sie nicht sagen“, bemerkte sie mit eisiger Stimme. Dann schaute sie wieder Theo an. „Wie großherzig von Ihnen, Raine, mit Ihren Bediensteten zu tanzen. Man sollte meinen, dass Sie derlei gütige Gesten auf den zweiten Weihnachtsfeiertag beschränken würden oder ... “
„Lord Raine ist nicht mein Dienstherr“, berichtigte Megan sie freundlich. „Sicher haben Sie da etwas missverstanden. Die Duchess of Broughton hat mich eingestellt. “
„Miss Henderson ist zudem keine Bedienstete“, stellte Theo entschieden klar, und seine grünen Augen erschienen hart wie Smaragde. „Sie ist Lehrerin.“
Lady Helenas Mundwinkel zuckten leicht belustigt. „Aber gewiss. Ihre Familie hatte ja schon immer ... ungewöhnliche Ansichten. Was natürlich ihren Reiz ausmacht.“
„Es überrascht mich, dass Sie das reizvoll finden“, entgegnete Theo. „Eigentlich hätte ich eher das Gegenteil vermutet.“
Sie lachte hell auf, und Megan fragte sich, ob es in Theos Ohren wohl ebenso gekünstelt klang wie in den ihren.
„Sie schrecklicher Mann!“, rief Lady Helena kokett und packte Theo mit gespielter Empörung am Arm. Ihre Augen funkelten, als sie ihn ansah. „Wie Sie mich immer necken müssen! Sie wissen doch, wie sehr ich die Gesellschaft Ihrer Mutter schätze. Und Ihre Schwestern sind so wunderbar charmant. “ „Hmm ... “, bemerkte Megan und begegnete Lady Scarles aufgebrachtem Blick mit Unschuldsmiene. „Mrs. Mclntyre spricht ebenfalls sehr häufig von Ihnen.“
Theo schwieg und sah sich derweil mit überaus gefasster Miene
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