Schatten ueber Broughton House
ausgesprochen netter Mann. Sehr höflich und recht gut aussehend. Ich nehme an, dass er einfach nur aufmerksam sein möchte. Wenngleich es mir manchmal doch so scheint, als zeigte er eine gewisse Vorliebe für mich. Hältst du das für möglich?“ „Natürlich halte ich das für möglich! Wann hast du eigentlich das letzte Mal in den Spiegel geschaut?“
„Das mag sein, aber wir unterschieden uns sehr in unserer gesellschaftlichen Stellung und unserem Vermögen - ganz abgesehen davon, dass er Engländer ist.“
„Sieh nur! “ Megan hatte Theo entdeckt. Er saß auf einem Sofa neben einer alten Dame mit höchst kunstvoller Frisur, die seltsam schief auf ihrem Kopf thronte. Megan zog Deirdre beiseite und flüsterte: „Da drüben sitzt Theo Moreland, neben der Frau mit der roten Perücke.“
Deirdre blieb der Mund offen stehen, als sie kurz zu ihm hinüberschaute. Mit großen Augen sah sie Megan an.
„Das ist Theo Moreland? Er ... er sieht ja richtig gut aus!“, flüsterte Deirdre.
„Ja, mich hat es auch sehr überrascht.“
„Ich dachte ... oh, ich weiß gar nicht, was ich dachte, aber wahrscheinlich habe ich erwartet, er würde genauso bösartig aussehen wie Iago in der Aufführung von Othello, die wir mal besucht hatten.“
„Nun, das tut er ganz offensichtlich nicht - und er benimmt sich auch nicht so.“ Megan seufzte.
Deirdre betrachtete ihre Schwester aufmerksam. „Du wünschst dir, dass er nicht der wäre, der er ist, nicht wahr?“ „Ja, ich wünschte, er wäre jemand anderes!“, gestand Megan und konnte ihre Gefühle kaum mehr zurückhalten. „Wenn du dich nur einmal mit ihm unterhalten könntest, in seiner Nähe wärst ... er ist überhaupt nicht so, wie ich glaubte, dass er sei!“
„Das tut mir leid.“ Deirdre legte ihrer Schwester die Hand auf den Arm und sah sie mitfühlend an. „Vielleicht finden wir ja eine andere Möglichkeit.“
„Welche denn?“, fragte Megan niedergeschlagen. „Was können wir denn tun?“, flüsterte sie. „Du bist es doch, die von Dennis träumt - könntest du es etwa gutheißen, wenn wir seinen Tod nicht rächen?“
Deirdre runzelte die Stirn. „Nein. Ich... wir haben ihm gegenüber eine Verpflichtung.“
Megan nickte. „Siehst du. Ich muss weitermachen. Und dass Theo Moreland so unerwartet... angenehm ist, darf mich nicht davon abhalten.“ Unwillkürlich straffte sie ihre Schultern. „Je eher ich etwas herausfinde, umso besser. Ich muss endlich mit Julian Coffey sprechen.“
„Andrew hat mir Mr. Coffey vorgestellt“, sagte Deirdre. „Er machte einen sehr netten Eindruck. Ich bin mir sicher, dass er dir gerne helfen wird.“
„Schau mal bitte kurz, ob Theo noch dort drüben sitzt“, bat Megan ihre Schwester.
Deirdre trat einen Schritt vor und sah zu dem Sofa hinüber. „Nein, er geht gerade mit dieser seltsam aussehenden Frau zur Treppe“, ließ sie Megan mit leiser Stimme wissen. „Sie gehen hinauf ... und nun kann ich sie nicht mehr sehen.“
„Dann werde ich jetzt zurück in den Ballsaal gehen und nach Mr. Coffey Ausschau halten“, meinte Megan. „Ich ... vielleicht ist es besser, wenn wir uns nicht mehr zusammen zeigen.“
Es kam ihr seltsam vor, ihre Schwester ohne eine Umarmung oder auch nur einen kurzen Händedruck zu verlassen. Sie wandte sich noch einmal nach Deirdre um, die ihr zulächelte und sich dann abwandte. Meine Schwester kommt schon zurecht, sagte Megan sich. Mr. Barchester konnte nicht weit sein und würde sich um sie kümmern.
Das war natürlich gleich ihre nächste Sorge. Verliebte Deirdre sich etwa in diesen Engländer? Mr. Barchester machte zwar einen durchaus ehrenwerten und rechtschaffenen Eindruck, doch Megan kam nicht umhin, um Deirdre besorgt zu sein. Ihre Schwester war noch so unschuldig und unbedarft, und dies war das erste Mal, dass Megan nicht bei ihr sein konnte, um sie zu beschützen. Was, wenn Deirdre sich in ihn verliebte? Was würde sie tun, wenn es so weit wäre, nach New York zurückzukehren?
Megan betrat den überfüllten Ballsaal. Sie sah sich nach Coffey um und hoffte, nun nicht gerade zufällig jemandem von den Morelands zu begegnen. In der Mitte des Saals angekommen, entdeckte sie auf einmal den Kurator des Museums, der sich soeben anschickte, den Raum zu verlassen.
Eilig machte sie auf dem Absatz kehrt und bahnte sich unter vielen Entschuldigungen abermals ihren Weg durch die Menge. Draußen auf dem Gang sah sie sich nach beiden Seiten um. Ein Mann verschwand gerade um die Ecke in
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