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Schattenblüte. Die Erwählten

Schattenblüte. Die Erwählten

Titel: Schattenblüte. Die Erwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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Schlucke und prüfe dabei im Spiegel über meiner Kommode, dem ich in dieser Hinsicht mehr vertraue als Adrian, ob mein Anzug sitzt. Es ist ein neuer Anzug, zum ersten Mal einer von der Sorte, wie sie mein Vater trägt, wenn er wichtige Geschäftsgäste empfangen muss. Ich werde nicht auf einen Geschäftspartner treffen. Der Besuch hat nichts mit Geschäft zu tun, doch mein Maßanzug ist vom selben Schneider. Ich sehe das Lächeln meines Vaters vor mir, zufrieden, dass sein Sohn jetzt doch endlich in seine Fußstapfen tritt. Dabei wird das niemals passieren, denn auch wenn wir uns gut verstehen, im Grunde bin ich ihm so unähnlich, wie man es nur sein kann. Ich bin ja nicht mal ganz und gar Mensch. Ich bin ein Shinan, und das bedeutet, in meinen Adern fließt auch das Blut der Engel. Ich bin stolz auf mein Erbe, das von meiner Mutter auf mich kam und mich zu einem Mitglied des geheimen Ordens der Shinanim machte. Wahrscheinlich bin ich sogar stolzer, als es mein Vater auf seinen geschäftlichen Erfolg je sein könnte. Ich trinke noch einen Schluck Kaffee und rücke mit der freien Hand meinen Krawattenknoten gerade. Kurz über dem Hemdkragen schaut eine der Narben hervor, die die Zähne dieses schwarzen Werwolfs, Norrock, hinterlassen haben. Ich kann sie nicht unter der Kleidung verschwinden lassen, wie die fast verheilten Wunden an meinem Bein. Vielleicht will ich das auch gar nicht. Sollen die Shinanim ruhig mit eigenen Augen sehen, wie nah ich den Werwölfen gekommen bin.
    Ich ziehe meinen Wintermantel an und nehme den Aktenkoffer. Mein Bein schmerzt beim Gehen, aber ich lebe noch. Ich habe zum zweiten Mal mit den Werwölfen gekämpft, und ich bin entkommen und kann davon berichten. Das ist es, was zählt.
    Es ist Zeit, aufzubrechen.
    Auf dem Weg zum Ausgang komme ich an dem Zimmer vorbei, in dem Luisa die kurze Zeit, in der sie hier war, gewohnt hat. Die von uns damals aufgebrochene Tür ist repariert worden und sieht wieder aus wie vorher. Nichts erinnert mehr an Luisa. Vielleicht ist es besser so. In der Küche stelle ich noch schnell den leeren Kaffeebecher ab. «Alles Gute», wünscht mir Chiara. Ich wette, sie wäre jetzt gerne an meiner Stelle. In ihrem Zimmer hängt ein signiertes Foto von Vittorio. Ich brauche kein Foto, ich treffe den Erzshinan heute persönlich.
    Wir wohnen noch immer im Dachgeschoss des Hauses am Kurfürstendamm, von dem die Menschen denken, dass es leer steht. Ich schließe die Wohnungstür hinter mir, durchquere einen der langen Gänge und fahre mit dem wackligen Fahrstuhl nach unten. Mein Auto steht im Hof.
    «Wir haben die Scheiben abgetaut, ganz ohne Chemie», sagt Raquel.
    «Sieh mal!» Felix lässt den Engelsfunken in seiner Hand aufleuchten, fährt mit der Handfläche über die Scheibe, und die Hitze verdunstet das letzte bisschen Eis.
    «Gut!», lobe ich sie. Wenn wir Shinanim in den kommenden Zeiten für die Sicherheit dieser Stadt sorgen werden, sollen die beiden an vorderster Front stehen. Dann werden sie Gegner haben, die nicht so leicht zu besiegen sind wie das Eis auf der Scheibe. Sie werden jede Waffe brauchen, die sie haben, und mir gefällt, dass sie langsam lernen, ihre Shinanim-Fähigkeiten als Teil ihrer selbst anzunehmen.
    Da kommt Adrian mit den Ausdrucken. «Ich weiß, du bist begeistert von den Obersten, doch pass auf, mit wem du dich einlässt», raunt er mir zu. «Glaub nicht alles, was man dir sagt.»
    Ich versenke die Mappe in der Aktentasche und stecke den USB -Stick ein. «Mit der Einstellung wirst du es in unserem Orden nicht sehr weit bringen, Adrian. Der Rat besteht aus unseren Leuten, Shinanim wie wir. Nein, die Besten von uns! Ein bisschen Vertrauen musst du schon haben.»
    Ich stelle meine Tasche auf den Beifahrersitz und steige ins Auto. Felix hat schon das Tor zur Straße geöffnet. Ich kann losfahren.

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    6. Thursen
    SIE sind weg, meine Wölfinnen. Ich habe Luisa und Haddrice gesagt, ich würde das Rudel warnen. Doch das wäre ja Blödsinn. Die Werwölfe im Lager riechen die Feinde viel schneller, als ich je bei ihnen sein könnte. Ich bin keine große Hilfe, als Mensch.
    Also laufe ich nicht zum Lager, sondern dorthin, wo Haddrice die Shinanim gesehen hat. Renne über das schneebedeckte Laub und springe über die abgestorbenen Bäume. Ich verstecke mich nicht, bin nicht mal besonders leise. Wozu auch? Sie sollen mich doch sehen, die verdammten Shinanim. Ich mache mich zum Lockvogel. Hundertmal besser, sie fangen mich als

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