Schattenblüte. Die Erwählten
Schritte überwachen lassen?»
«Wir wussten nicht, wie du zu den Werwölfen stehst.» Vittorio trinkt einen Schluck Wasser. «Stell dir vor, wie es für uns aussah, als du anfingst, die Bestien mit Namen anzusprechen und von ihren Kreuzen loszubinden!»
«Ihr wusstet also nicht, wo ich stehe. Und jetzt, wo ich nicht einmal hundert Stunden lang meine Zeit mit Euch verbracht habe, jetzt seid Ihr Euch sicher? Wäre es nicht sinnvoller gewesen, einfach mit mir zu sprechen?» Ich halte meine Stimme im Zaum, doch ich fühle, wie die schimmernde, lodernde Glut in mir um einen Weg nach draußen fleht.
Vittorio lächelt, als hätte er mit dem Himmelswasser Weisheit getrunken. «Ich wollte nicht mit dir reden. Ich befürchtete, dass du versuchen würdest, mit den Werwölfen Kontakt aufzunehmen.»
«Und? Habt Ihr meine Wege kontrolliert?»
«Das war nicht nötig. Du hast die Werwölfe nicht getroffen. Woher ich das weiß? Das ist ganz einfach: Wenn du sie getroffen hättest, hätten sie dich niemals wieder gehen lassen.»
«Vielleicht ja doch?»
«Ach, Elias!» Vittorio lacht. «Du bist der Bruder desjenigen, den sie mehr als alle anderen Menschen gehasst haben. Du hast versucht, Thursen, dem Leitwolf, sein Mädchen zu stehlen. Du hättest dich ihnen anschließen oder sterben müssen. In beiden Fällen wärest du jetzt nicht hier. Sie wollen deine totale Unterwerfung oder deine Auslöschung.»
Ich spiele sein Spiel mit und sage ihm, was er hören will. Es ist sogar die Wahrheit. «Ich bin ein Shinan, und das kann ich nicht aufgeben. Ich hätte mich ihnen niemals unterworfen und wäre niemals einer von ihnen geworden.»
«Ich weiß. Elias, du verstehst sicher, dass deine Überwachung notwendig war. Ich musste sichergehen, ganz sicher, doch jetzt vertraue ich dir. Denk dran, niemand darf von dem Heiligtum erfahren. Es ist nicht klug, den Dämonen, die die Werwölfe verwandeln, so öffentlich den Krieg zu erklären.»
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54. Thursen
FEUCHTES Holz qualmt viel stärker als trockenes, wenn es brennt. Der weiße Rauch beißt in den Augen. Doch man kann schon froh sein, wenn es überhaupt klappt, das schneefeuchte Zeug direkt aus dem Wald zum Brennen zu kriegen. Rieke und Edgar bringen das Kunststück irgendwie fertig. Es knistert und knackt, und der Rauch wird langsam weniger, je länger die Knüppel im Feuer trocknen. Endlich können wir uns etwas aufwärmen. Luisa hätte schon längst ein Feuer gebraucht.
Ob die Wölfe den beißenden Qualm auch gerochen haben? Jedenfalls kommen sie, gerade als wir herausgefunden haben, auf welcher Seite des Feuers man am wenigsten Rauch abkriegt, von der Jagd zurück. Sie bringen frische Beute, die die meisten von ihnen gleich roh zerreißen. Rawuhn bekommt auch etwas ab. Wer kann, wechselt in die Tiergestalt und frisst als Wolf. Wir Menschen, die uns nicht verwandeln können, schneiden das Fleisch in kleine Brocken, damit es schneller geht, und rösten es über den Flammen.
«Lecker, und was unternehmen wir jetzt gegen die Shinanim?», fragt Mauriks kauend.
Und schon wieder bin ich es, der den Werwölfen sagen muss, wie es weitergeht. Ich stehe auf, damit sie mich sehen. «Wir versuchen, Vittorio zu töten, bevor er den anderen Shinanim vom Tor erzählt. Es muss schnell gehen. Wir gehen rein ins Haus der Shinanim, töten ihn und machen, dass wir verschwinden.»
«Jetzt?», fragt Irudit. «Thursen, weißt du, wie lange wir schon durch den Wald rennen? Müssen wir nicht auch mal schlafen? Das wird gefährlich.»
«Wir haben keine Zeit zum Schlafen. Norrock wird direkt zum Tor gehen und es öffnen. Das gibt uns mehr Kraft als jeder Schlaf. Wenn wir unsere Aufgabe erledigt haben, treffen wir alle am Tor wieder zusammen, und Norrock schließt es.»
«Und was, wenn wir Vittorio nicht erwischen oder er schon geredet hat?», will Glowen wissen.
«Dann schließt Norrock das Tor und versteckt es. Doch die Shinanim werden es suchen, es wird zum Kampf kommen. Wir brauchen eine zweite Linie. Wer begleitet Norrock, um das Tor zu verteidigen, falls wir scheitern sollten?»
Zrrie kämpft sich in ihre Menschengestalt und hebt die Hand. Nur Zrrie. Die Verwandlung fällt ihr immer schwerer, man merkt, wie viel Kraft es sie kostet, Mensch zu sein. Ich erinnere mich noch so genau an den Tag, als Norrock die kleine Zrrie mit ihrem selbstgeknüpften Henkerstrick vom Baum gepflückt hat. Erst hat sie gekratzt und gespuckt und wollte nicht leben. Doch Norrock hat sich um sie
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