Schattenelf - 1 - Der dunkle Sohn
Anordnungen«, erklärte er und sah Jilseponie direkt in ihre blauen Augen. Dann wurde er ernst. »Es war deine Pflicht gegenüber dem Volk, die dich gezwungen hat, die Ernennung zur Bischöfin von Palmaris anzunehmen«, fuhr er fort. »Dies ist etwas völlig anderes.« Dann zögerte er; er fühlte sich verwundbar, erregt und überaus lebendig, alles gleichzeitig, und obwohl er sich alle Mühe gab, dem festen Blick dieser Frau standzuhalten, ertappte er sich dabei, wie sein Blick ziellos im Zimmer umherwanderte.
Doch dann wurde er plötzlich und unerwartet festgehalten, als Jilseponie sein Gesicht in ihre zarten und trotzdem kräftigen Hände nahm und ihn zwang, sie anzusehen.
König Danube war wütend über sich selbst, weil er sich so albern benommen hatte. Schließlich war er der König, ein Mann, dessen Wort über Leben und Tod entschied. Wieso war ihm jetzt so unbehaglich zumute?
Die Antwort darauf kannte er, aber das machte es nicht einfacher.
»Heiratet mich«, überrumpelte Danube sie mit seinem Antrag, noch bevor er richtig überlegt hatte, wie er die alles entscheidende Frage in Worte kleiden sollte.
Jilseponie ließ ihn los und wich zurück, ohne jedoch ihren Blick von ihm zu lösen.
»Werdet Königin des Bärenreiches«, improvisierte Danube stammelnd. »Was könntet Ihr dem Volk für gute Dienste leisten –«
Jilseponie schnitt ihm das Wort ab, indem sie ihm einen Finger auf die Lippen legte. »Eine Frau sollte niemals aus diesem Grund heiraten«, erklärte sie. »Man wird nicht aus Verantwortungsgefühl Königin des Bärenreiches.« Als Danube sich daraufhin auf seinem Stuhl zurücklehnte, seine Fingerspitzen aneinander legte und sich mit den Zeigefingern gegen Kinn und Unterlippe tippte, musste sie einfach lachen.
»Wollt Ihr wirklich, dass ich Eure Gemahlin werde, damit ich dem Volk besser dienen kann?«, fragte sie ihn geradeheraus.
König Danube antwortete nicht; er wusste, dass er sich die Antwort sparen konnte. Er sah sie einfach weiter an und tippte sich mit den Fingern gegen das Kinn.
»Oder möchtet Ihr, dass ich Eure Frau werde, weil Ihr ein rechtschaffener, ehrenwerter und gut aussehender Mann seid? Ein Mann, den ich liebe?«
»Wenn Ihr auch nur ein wenig Vertrauen in mich habt, sind alle diese Fragen rein rhetorisch«, ließ sich Danube dann doch zu einer Erwiderung hinreißen.
Jilseponie rutschte auf ihrem Stuhl nach vorn, schob Danubes Hände mit einer Hand aus seinem Gesicht, zog ihn mit der anderen zu sich heran und gab ihm zärtlich einen Kuss. »Euer Antrag kam nicht völlig unerwartet«, gestand sie. »Meine Antwort erfolgt daher nicht aus einer Eingebung des Augenblicks heraus, und ich werde sie später auch nicht bedauern. Ich werde in erster Linie Eure Gemahlin werden, und dann erst Königin des Bärenreiches.«
Daraufhin fiel König Danube geradezu über sie her, schloss sie überschwänglich in die Arme und legte seinen Kopf an ihre Schulter, hauptsächlich, weil sie die Tränen nicht sehen sollte, die ihm plötzlich in die Augen traten. Nie zuvor hatte er solche Freude verspürt. Und noch nie war König Danube Brock Ursal glücklicher gewesen. Sein Leben lang hatte er Privileg auf Privileg gehäuft, war er von Menschen umgeben gewesen, die ihm niemals etwas abzuschlagen wagten. Diesmal jedoch war alles anders, dessen war er sich vollkommen bewusst. Jilseponie war keine unterwürfige Frau und fühlte sich nur in Dingen an ihre Pflicht gebunden, die nichts mit ihrem Herzen zu tun hatten. Sie hätte ihn zurückweisen können, und in Anbetracht seiner Kenntnis jenes Mannes, den sie einmal ihren Ehemann genannt hatte, hatte er von ihr, trotz ihrer offenkundig aufrichtigen Freundschaft, auch gar nichts anderes erwartet. Wie konnte er, wie konnte überhaupt jemand dem Vergleich mit Elbryan Wyndon, dem Nachtvogel, standhalten, jenem Mann, der die Welt bereits zweimal vor dem Untergang bewahrt hatte? Elbryan, dem Held und Krieger, der von der Bevölkerung von Palmaris und der Nordlande geradezu abgöttisch verehrt wurde?
Diese Liebe konnte selbst Danube Elbryan nicht streitig machen, denn Danube empfand für diesen Mann aufrichtige Bewunderung und einen Respekt, der in all den von Unruhe und Krieg erfüllten Jahren noch zugenommen hatte, je mehr er über die Heldentaten Nachtvogels erfahren hatte.
»Diesmal werde ich das Volk von Palmaris nicht im Stich lassen«, erklärte Jilseponie einen Augenblick darauf und schob ihn auf Armeslänge von sich. »Ich kann Euch nicht
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