Schattengefährte
sie an ihrem Kind, das in der Burg zurückgeblieben war. Angus jedoch nahm sich Nessa zur Frau und ließ im ganzen Reich verkünden, es gäbe keine Feen.«
Niedergeschmettert starrte Alina auf das helle Laken des Bettes. Es erinnerte sie an die grauenvolle weiße Schneefläche oben im Gebirge, sie glaubte, die eisige Kälte wieder zu spüren, und es schauderte sie. Doch die Erzählung der alten Macha war noch nicht zu Ende.
»Der Feenkönig Mirdir war voller Zorn über Angus Verrat, er sammelte seine Krieger, um die Burg zu erobern und den König des Hügellandes zu töten. Doch Etain stellte sich ihrem Vater entgegen, denn trotz allem war ihre Liebe zu Angus noch lebendig. Da verstieß der Feenkönig seine Tochter und schwor, dass sie nie mehr an seinen Hof zurückkehren dürfe. Er verließ sein Königreich hinter den Schneebergen, um niemals wieder an Etain erinnert zu werden, und das einst blühende Tal wurde eine Beute des eisigen Windes und der ewigen Kälte. So war Etain heimatlos, sie wohnte im Wald, in den Felsen, in der Quelle und in den Wiesen, doch der Zugang zur Burg war ihr verwehrt, denn die Ebereschen hielten sie fern.«
»Und du, Macha? Woher weißt du all diese Dinge so genau?«
»Ich bin Königin Etains treue Dienerin«, sagte Macha mit Stolz. »Durch mich blieb sie mit ihrem Kind verbunden, und obgleich Angus davon wusste, hinderte er Nessa daran, mich fortzuschicken. Es ist schwer zu glauben, doch trotz aller Versuche, die Fee zu vergessen, lebt die Liebe zu Etain immer noch im Herzen des Königs. Wohl fürchtete er, die Fee könne seine Tochter entführen, doch Etain tat es nicht, denn sie hatte keinen Ort, an dem sie mit dir hätte bleiben können. Doch als du älter wurdest, begann sie sich dir zu nähern, sang dir die Lieder der Feen und zog dich zärtlich in ihren Bann. Unterschätze Königin Etain nicht, Alina. Sie ist sanft wie ein Frühlingshauch, aber zugleich mächtig wie das Unwetter, das über das Land hereinbricht. Sie ist weich und geschmeidig, doch ihr Sinn ist hart, und ihre Geduld übersteigt die Kraft eines Menschen. Etain hat Schmerz und tiefen Kummer erlitten, all ihre Hoffnung ruht auf ihrer Tochter.«
»Was kann sie sich von mir erhoffen«, flüsterte Alina unglücklich. »Kann ich ihre verlorene Liebe zurückbringen? Das zerstörte weiße Gebäude wieder aufbauen? Sie mit meinem Vater versöhnen?«
Machas stolzes Gebaren sank jetzt in sich zusammen, der Glanz in ihren Augen erlosch, und auch ihre Gestalt schien kleiner zu werden. Sie hatte den Auftrag ihrer Herrin ausgeführt, nun war sie erschöpft und ebenso ratlos wie Alina.
»Du weißt nun, was du wissen solltest, und du kannst entscheiden, was zu tun ist«, murmelte sie. »Mein Bruder Fergus und ich werden dir beistehen, so gut wir es vermögen. Wenn du aber zu deinem Vater gehen willst, dann nimm dich vor Nessa und Nemed in Acht.«
Sie verbeugte sich vor ihrer jungen Herrin und ging mit schlurfenden Schritten hinaus, um sich wie gewohnt draußen vor ihrer Tür niederzulassen.
Alina saß auf der Bettkante, stützte die Ellenbogen auf die Knie und verbarg das Gesicht in den Händen. Weshalb hatte ihre Mutter ihr dieses Wissen aufgebürdet? All der Kummer, den ihre Eltern durchlitten hatten, lag nun wie eine große Last auf ihren Schultern und machte sie hilflos. Wer konnte diesen Schmerz mildern? Er war starr geworden im Lauf der Jahre, unveränderlich, wie in gelblichen Bernstein eingeschlossen, niemand konnte daran etwas ändern, am allerwenigstens sie selbst.
Starb das Glück eines Paares unweigerlich durch Verrat und Eifersucht? Siegten immer nur Kälte, Dunkelheit und Erstarrung? Die merkwürdige Weise, die Fandur einst gesungen hatte, kam ihr wieder in den Sinn.
Süße Lust und herbes Leid
Unheilvolle Seligkeit
Glück ist nah, Erfüllung weit
Fluch dem Mann im Rabenkleid.
Er hatte es gewusst, der kluge Rabenkrieger, und wenn sie die letzten Worte richtig deutete, dann hatte er sogar ein schlechtes Gewissen dabei gehabt, denn er hatte sie zu einer Liebe verführt, die keine Zukunft hatte. Er selbst aber hatte sich niemals auf die Liebe eingelassen. Er hatte nur mit ihr gespielt.
Sie grub die Finger in ihr dichtes Haar und spürte die kurzgeschnittene Stelle im Nacken. Einen winzigen Augenblick lang zuckte Triumph in ihr auf. Er hatte geglaubt, sie einsperren zu können, aber sie hatte den schlauen Raben überlistet. Gleich darauf aber nahm der Jammer wieder von ihr Besitz, denn ohne dass sie es
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