Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
dichten, glitschigen Teppich. Der Unterschied war ihm bereits am Tag zuvor aufgefallen und hatte sich in seinem Hinterkopf festgesetzt, wenngleich er nicht sicher war weshalb.
Schwerfällig quälten sich Micum und Nysander zu ihm herauf. Der Zauberer sank auf einen Felsvorsprung und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn.
»Meine Güte«, keuchte er, »ich glaube, ich muß mich eine Weile ausruhen.«
Seregil entkorkte den Wasserbeutel und reichte ihn dem Magier. »Uns bleiben nur noch ein paar Stunden Tageslicht«, sagte er, von einer plötzlichen Unruhe erfaßt. »Ich gehe ein Stück weiter. Entfacht ein Feuer, an dem ich mich orientieren kann, falls ich bei Einbruch der Dunkelheit noch nicht zurück bin.«
Micum runzelte die Stirn und hob die Hand. »Jetzt warte mal. Mir gefällt der Gedanke ganz und gar nicht, daß wir uns wieder trennen sollen.«
»Keine Sorge«, beschwichtigte Nysander. »Ich brauche nur eine kurze Pause, dann können wir ihm folgen. Seregil hat recht; wir haben keine Zeit zu verlieren.«
»Dann ist ja alles klar«, meinte Seregil und marschierte los, bevor Micum Gelegenheit hatte, abermals Einwände zu erheben.
Eine Viertelmeile weiter war die Uferlandschaft von einer Bucht unterbrochen, deren Form einem Biß in einer Scheibe Brot ähnelte. Ein mehrere hundert Fuß breiter Kieselstrand stieg sanft zum Fuß einer steileren, von der See zerkarsteten Granitschicht an, die sich wie eine Reihe zerfallener Zinnen um die Bucht herumwand. Möwen tapsten zwischen den Pfützen und dem Seetang nahe des Wasserrands umher und hielten Ausschau nach einer Mahlzeit, die ihnen die Ebbe womöglich beschert hatte. Ein recht hübscher Ort, dachte Seregil, während er die Felsen erklomm, um sich dicht am Waldrand zu halten.
Als er durch die Bäume spähte, sah er, daß die einstige Straße eine Kurve beschrieb und sich entlang der oberen Riffs erstreckte. Er überlegte gerade, ob er ihr eine Weile folgen sollte, als ihm vom Rand des Unterholzes auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht etwas Weißes ins Auge sprang.
Hastig kletterte er über Felsen und umgestürzte Bäume und machte sich auf eine weitere Enttäuschung gefaßt. An jenem Vormittag hatte sich ein ähnlich vielversprechendes Aufleuchten als Schulterblatt eines Elchs herausgestellt. Ein anderes Mal hatte es sich bloß als eine Pfütze erwiesen. Als er jedoch näher kam, sah er, daß es sich um einen fast vier Fuß hohen, milchig-weißen Felsbrocken handelte.
Er ließ den Rucksack fallen und schob das Gewirr blätterloser Büsche und abgestorbenen Farns beiseite, das den Felsbrocken teilweise verhüllte.
Er war echt – ein großer, weißer Quarzblock, der in dieser Landschaft eigentlich nichts verloren hatte. Zunächst umkreiste er ihn und suchte nach eingemeißelten Symbolen oder Zeichen, dann bückte er sich und tastete sich durch den trockenen Adlerfarn, bis seine Finger auf einen kleinen, glatten Stein stießen. Als er ihn herauszog, sah er, daß es ein schwarzer, polierter Basaltbrocken war, dessen Größe und Form an ein Gänseei erinnerte. Er grub weiter und fand weitere schwarze Steine sowie eine winzige Frauenfigur aus Ton und ein Schmuckstück in Form einer geschnitzten Muschel.
Seine Funde an sich gepreßt, preschte Seregil den Weg zurück, den er gekommen war und erblickte Micum und Nysander, die in seine Richtung unterwegs waren.
»Ich habe ihn gefunden!« brüllte er. »Ich haben deinen weißen Stein gefunden, Nysander. Es gibt ihn wirklich!«
Micum stieß einen Jubelschrei aus, den Seregil mit einem eben solchen beantwortete.
»Was hältst du jetzt von illiorischer Mystik, Micum?« fragte Seregil atemlos, als er die beiden erreichte.
Grinsend schüttelte Micum den Kopf. »Verstehen werde ich sie wohl nie, aber bislang waren wir damit zweifellos gut beraten.«
»Unten um den Felsblock herum lagen schwarze Steine, und das hier habe ich auch gefunden«, berichtete Seregil Nysander aufgeregt und zeigte ihm die Tonfigur und das geschnitzte Muschelstück.
»Bei Illiors Licht!« murmelte der Magier, als er beides in Augenschein nahm. »Kommt«, drängte er und packte sie beide am Arm. »Tragt mich, wenn es sein muß, aber bringt mich zu diesem Stein, bevor die Sonne untergeht.«
Doch sie mußten ihn nicht tragen. Den Stock vor sich herschwingend, stapfte Nysander fast wie in früheren Zeiten voran. Es war, als hätte der Fund dem Zauberer neues Leben eingehaucht, dachte Seregil. Vielleicht hatte Nysander diese greifbare
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