Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
hier gewesen«, beklagte sich Kari und quälte sich in dem Karren aus einem Nest aus Kissen und Mänteln hervor. Lange Wochen der Morgenübelkeit hatten ihre Züge ausgemergelt, doch die Reise hatte das verwegene Glitzern zurück in ihre dunklen Augen gezaubert.
Micum half ihr herunter, danach umarmte sie Alec und Seregil herzlich.
Seregil begutachtete ihren zunehmend runden Bauch. »Das Schwangersein steht dir wie immer hervorragend zu Gesicht.«
»Sag ihr das bloß nicht vor dem Frühstück«, warnte Micum seinen Freund.
Die alte Arna machte ein Zeichen der Segnung in Richtung ihrer Herrin. »›Je übler der Mutter, desto kräftiger der Sohn.‹«
Kari verdrehte hinter dem Rücken der alten Frau die Augen. »Seit einem Monat hören wir das mindestens dreimal am Tag. Auch wenn es wieder ein Mädchen wird, es wird wohl mit einem Schwert in der Hand geboren.«
»Eine weitere Beka«, meinte Alec grinsend.
»Und was ist mit dir?« fragte Seregil, an Elsbet gewandt. »Zuletzt habe ich gehört, daß du an der Tempelschule bleiben möchtest.«
»Stimmt. Danke, daß du mich empfohlen hast. Die Tempelschule ist genau das, was ich schon immer machen wollte.«
»Zuerst Bekas Offizierspatent für die Reiterei der Königin, und nun Elsbet eine Studentin.« Kari legte Elsbet einen Arm um die Hüfte und warf Seregil einen finsteren Blick zu. »Na, herzlichen Dank. Ich kann schon von Glück reden, wenn eine meiner Töchter heiratet, bevor sie alt und grau ist.«
»Studentinnen heiraten doch, Mama«, wies Elsbet ihre Mutter zurecht.
»Ich werd’ heiraten!« mischte Illia sich ins Gespräch. Immer noch umklammerte sie Alecs Hand. »Ich werd’ dich heiraten, Alec, nicht wahr?«
Galant verbeugte sich der Junge vor ihr. »Sofern du mich noch willst, wenn du erwachsen und eine Schönheit wie deine Mutter und deine Schwester bist.«
Elsbet errötete bei der Bemerkung sichtlich. »Wie geht es dir, Alec? Vater hat uns erzählt, daß du verletzt wurdest, als du Klia gerettet hast.«
»Bis auf das hier ist alles ziemlich gut verheilt«, erwiderte er und fuhr sich bedauernd mit der Hand über das zottige Haar. »Klia hat noch schlimmer ausgesehen als ich.«
»Es war sehr – tapfer von dir. Einfach so ins Feuer zu laufen, meine ich«, stammelte sie. Dann errötete sie noch mehr und lief hastig hinter Arna her ins Haus.
Mit verständnislosem Blick drehte sich Alec zu Kari um. »Alles in Ordnung mit ihr?«
Ein geheimnisvolles Lächeln spielte um die Lippen der schwangeren Frau, als sie sich bei Alec einhängte. »Oh, sie ist nur gerade fünfzehn geworden, und du bist ein Held, das ist alles. Und jetzt komm mit, tapferer Sir Alec. Mal sehen, was wir wegen deiner Haare tun können. Wir wollen doch nicht, daß du heute nacht vor den feinen Damen aus Lord Seregils Bekanntenkreis wie ein Kesselflickerjunge aussiehst.«
6
Die Nacht der Trauer
Lady Kyliths mit Wandteppichen geschmückte Loge bot einen hervorragenden Ausblick auf die Säulenhalle des Sakortempels. Seregil und Alec erreichten den Tempelvorhof eine Stunde vor Sonnenuntergang und fanden ihre Gastgeberin sowie sechs andere Gäste bereits bei Leckereien und Wein plaudernd vor.
Es war ein frostiger Abend, und jedermanns Atem bildete beim Reden kleine Wölkchen vor dem Mund. Alle hatten sich eingedenk des Anlasses in schwarze, dicke Mäntel oder Umhänge gehüllt, doch an den Handgelenken und Hälsen fing sich das Licht in Gold und Juwelen.
»Ah, jetzt ist unsere kleine Gruppe vollständig!« Lächelnd erhob sich Kylith, um Seregil zu küssen.
Er erwiderte den Kuß mit echter Zuneigung. Vor einigen Jahren waren sie eine Zeitlang ein Liebespaar gewesen, und seither immer noch Freunde. Ihm wurde bewußt, daß Kylith mittlerweile auf die fünfzig zugehen mußte, doch das Alter hatte sowohl ihre sagenumwobene Schönheit als auch ihren Verstand nur veredelt.
Beides kam voll und ganz zur Geltung, als sie sich Alec zuwandte, der sich nach wie vor schüchtern im Hintergrund hielt. »Und wir beide begegnen einander endlich unter wesentlich erfreulicheren Umständen, Sir Alec. Ich hoffe doch, heute nacht will niemand Lord Seregil verhaften?«
Alec vollführte eine makellose Verneigung. »Ich glaube, er hat alle Verhaftungen auf morgen verschoben, Lady Kylith.«
Gut gemacht, Sir Alec, dachte Seregil bei sich und lächelte. Aus dem Augenwinkel sah er, daß einige der anderen Gäste verstohlene Blicke tauschten. Fast ganz Rhíminee wußte, daß er erst vor wenigen
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