Schattengold
Spur in der staubigen Tunnelsohle. Weder an den Seiten, Kämpfer genannt, noch an der Decke, dem Scheitel, ließen sich irgendwelche Anzeichen menschlichen Einwirkens beobachten.
Plötzlich gabelte sich der Schacht.
»Wir sind jetzt ungefähr unter dem Konzertsaal der Musikhochschule«, schätzte der Vorarbeiter. »Ich schlage vor, dem rechten Teil zu folgen.«
»Nur schade, dass die Kamera nicht mit Mikrofonen ausgestattet ist. Dann könnten wir jetzt zur Abwechslung wenigstens Musik hören«, witzelte Hopfinger.
»Können Sie haben!«, murmelte der Mann am Computer und betätigte ein paar Schalthebel.
Auf dem Monitor sah man plötzlich, wie sich der Gang weitete. Vor ihnen breitete sich eine bizarre Höhlengrotte aus. Das Licht einer Laterne spiegelte sich in einem unterirdischen See und strahlte bis in den letzten Winkel des verzweigten Grottensystems. Zu allem Überfluss erklang eine atemberaubende sinfonische Musik.
Das muss tatsächlich unter dem Konzertsaal der Musikhochschule sein, vermutete Hopfinger. Das Studentenorchester spielt gar nicht so schlecht, wie ich annahm. – Verdi.
Von Musik hatte er überhaupt keine Ahnung.
Plötzlich schwenkte die Kamera in eine Nebengrotte, die in hellgelbes Licht getaucht war. Da standen offene Seemannskisten über und über gefüllt mit Goldmünzen, Juwelen, Diamanten, Perlenketten und silbernen Kronleuchtern.
Hopfinger war überwältigt. Der sagenhafte Wikingerschatz!, ging es ihm durch den Kopf. Hätte der Baggerführer seinerzeit beim Bau des Konzertsaales der Musikhochschule ein wenig tiefer gegraben, wäre er der Entdecker geworden.
Nun blieb dem Kriminalassistenten diese Gunst vorbehalten. Er war so aufgeregt, dass er nicht bemerkte, wie sich die Arbeiter verstohlen zuzwinkerten.
»Es ist gut. Machen Sie Schluss für heute. Jetzt wissen wir, wo wir weitersuchen müssen. Fahren Sie die Kamera zurück und packen Sie ein. – Und kein Wort zu irgendjemandem! Wir müssen eine Nachrichtensperre verhängen, um die weiteren Ermittlungen nicht zu behindern. Geben Sie mir die DVD mit der Videoaufzeichnung. Ich werde sie im Büro genauer analysieren.«
*
Am nächsten Tag bat Hopfinger seinen Vorgesetzten zu sich.
»Wir haben eine heiße Spur, Chef. Schauen Sie sich das mal an.«
Er startete den DVD-Player. Deutlich erkannte man die Spuren im Staub.
»Die Kollegen im Labor konnten mit den Fußabdrücken nur wenig anfangen. Schuhgröße wahrscheinlich 40/41, was auf einen mittelgroßen Mann schließen lässt. Gleichmäßiger Gang, kein Hinken oder Ähnliches«, ergänzte der Assistent. »Aber passen Sie auf, gleich wird es interessant. Das muss jetzt ungefähr direkt unter dem Konzertsaal der Musikhochschule sein.«
Als die Szene mit der unterirdischen Grotte kam, musste Inspektor Kroll laut auflachen. Er kannte sie bereits aus dem Fernsehen.
»Also haben wir jetzt den Täter! Der Graf von Monte Christo war es – in der Neuverfilmung von Kevin Reynolds! Glückwunsch zu Ihrer erfolgreichen Recherche, Hopfinger! Die Kanalisationsarbeiter haben Ihnen einen Bären aufgebunden.«
Hopfinger hätte sich am liebsten im tiefsten und dunkelsten Teil des unterirdischen Ganges verkrochen. Für die nächste Woche meldete er sich krank. Die Verbrecherwelt von Lübeck konnte aufatmen.
Kroll hielt nicht viel von weiteren Kanalisationsuntersuchungen. Erstens war ihm das zu gefährlich und auch zu kostspielig. Außerdem hatte er schon öfter von unterirdischen Gängen gehört. Hin und wieder fand man einen erfrorenen Bettler oder einen verirrten Hund in irgendwelchen grubenähnlichen Schächten. Aber von Schätzen und Hehlerlagern war noch nie die Rede gewesen.
In der Lübecker Unterwelt kursierten Gerüchte, dass man in den alten Wehrgängen rund um die Wallanlage noch massenhaft verrostete Gewehre und unbrauchbar gewordene Handgranaten aus dem letzten Krieg finden könne.
Aber bislang hatte sich noch niemand ernsthaft an die Suche gemacht. Das waren alles wohl ähnliche Gerüchte wie die der Oberschüler, die noch heute davon träumten, sich vor dem Unterricht drücken zu können, indem sie durch die angeblichen Gänge unter der Oberschule fliehen wollten.
Kroll bezweifelte auch die Beweiskraft dieser Schächte. Selbst wenn sie vorhanden wären, was sollten sie belegen? Er schloss aus, dass sie direkt in das Schlafzimmer irgendeines Verbrechers führen würden, wo die Diebesbeute in die Matratze eingenäht worden war.
Er hielt es für besser, der Roten Rabea,
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