Schattengold
Sie hielt das für ihr Markenzeichen.
Auch ihr Innenleben gestaltete sich recht bunt. Früh verlor sie die Eltern und wuchs bei einem entfernten Verwandten auf, der sie nicht nur in die Welt der Liebeserfahrungen, sondern auch in die der Taschendiebe einführte. Sie lernte, das pulsierende Leben zu schätzen. Schnell begriff sie, dass sie mit ihrem Körper mehr anschaffen konnte, als mit dem Ausplündern von Touristentaschen.
So war sie denn stadtbekannt. In der Regionalen Kriminalbehörde füllte sie inzwischen eine ganze Kartei wegen Diebstahls und Hehlerei. Mehreren gutbetuchten Bürgern war bei ihrem Liebesabenteuer die eine oder andere goldene Uhr abhanden gekommen. Dank ihrer intensiven Beziehungen zur Lübecker Unterwelt münzte Rabea die kostbaren Chronometer in Bares um.
Einem Gefängnisaufenthalt entging sie bislang erfolgreich, weil die Herren aus Gründen der Diskretion nicht wagten, Anzeige gegen sie zu erstatten.
Nun kam sie in das Alter, in dem man an Größeres denkt. Zunächst reizte sie der reichlich gedeckte Goldschmiedeladen von Adrian Ampoinimera. Aber gleich beim ersten Erkundungsbesuch bemerkte sie die versteckten Kameras. Dafür hatte sie einen siebten Sinn. Sie ließ die Finger von Adrians Preziosen.
Sie ahnte nicht, wie richtig diese Entscheidung war.
Ihre bescheidene Wohnung lag auf halber Höhe der Burgtreppe, der steilen Stiege vom Hafen hoch zum Burgkloster. Auf dem Weg zum Markt kam sie an den mittelalterlichen Gebäuden vorbei, ohne von ihnen Notiz zu nehmen. Dabei wären sie das wohl wert gewesen.
Von außen machten sie einen recht unscheinbaren Eindruck. Im Innern beherbergten sie jedoch einen beachtenswerten Kreuzgang, eine Oase der Ruhe, den Kapitelsaal, der wegen seiner Akustik und seiner gelassenen Atmosphäre gern für Kammermusikabende genutzt wurde sowie eine Sakristei mit reich geschmückten Wandmalereien und plastisch-lebendigen Motiven auf den Gewölbekonsolen aus dem 15. Jahrhundert.
In einem Keller lagerte seit einigen Jahren der Münzschatz, den ein Baggerführer beim Neubau des Konzertsaales der Musikhochschule gefunden hatte. Er war so wertvoll, dass man ihn mit Panzerglas sicherte.
Museumsbesuche zählten nicht unbedingt zu den Interessen der Roten Rabea. Das änderte sich, als sich bei ihr eines Nachts der junge Mitarbeiter des Stadtarchivs einkaufte, der schon Frau Grell den Kopf verdreht hatte, und nun eine etwas handfestere Abwechslung suchte. Was er ihr über den Münzschatz erzählte, weckte in ihr Begehrlichkeiten anderer Art. Sie ließ sich alle Details erklären und beschloss, dem Museum am darauf folgenden Tag einen Erkundungsbesuch abzustatten. Die Kassiererin blickte ihre auffällige Besucherin skeptisch über den Brillenrand an. So eine interessiert sich für die archäologische Sammlung? Sie gab sicherheitshalber dem Wärter einen unauffälligen Wink.
Rabea erhielt neben der Eintrittskarte ein Hinweisblatt mit Anmerkungen für den Rundgang. Der hatte den Vorteil, dass er eine ausreichend genaue Beschreibung der Räumlichkeiten beinhaltete.
Auch interessierte sie sich sehr für die neben der Kasse ausgestellten Bücher und Broschüren: Über den Tresen hinweg konnte sie auf diese Weise nämlich die Monitore der Überwachungskamera studieren.
Sie prägte sich deren Blickwinkel genau ein.
Dann machte sie sich auf den Weg in das ehemalige Beichthaus, das jetzt die archäologische Sammlung beherbergte. Zunächst blieb sie vor einer Stelltafel stehen und studierte den langen Text über die Stadtgeschichte. Sie verstand davon fast nichts. Das machte aber auch nichts, immerhin hatte sie jetzt Zeit, die Videokameras unauffällig auszuspähen.
Dann interessierte sie sich für eine Vitrine, die über mittelalterliche Krankheiten und Hygiene informierte. Die Darstellung einer öffentlichen Badestube, in der beiderlei Geschlechter nicht nur Körperpflege trieben, amüsierte sie. Leider bereitete die Ausbreitung der Syphilis diesem Treiben bald ein Ende.
Davon verstand sie schon mehr.
Im Glas der Vitrine spiegelte sich der Umriss des Wärters wider. Rabea fiel auf, dass er ihr folgte. Ihr wurde schnell klar, dass das keine zarten Annäherungsversuche waren. Dazu war ihr der Kerl zu alt.
Um zu testen, ob er ihr gezielt folgte, verließ sie die archäologische Ausstellung und ging schnellen Schrittes quer durch die Räume zum Sommerrefektorium am entgegengesetzten Ende des Burgklosters.
Nun war sie sich sicher. Sie musste sich betont harmlos und an
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