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Schattengrund

Schattengrund

Titel: Schattengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Telefon. Und irgendwo da draußen ein Irrer, der Krähen köpfte, sich in Schattengrund schon wie zu Hause fühlte, Kianas Märchen verbrannte und sie umbringen wollte. Leise schlich sie in den Flur.
    »Wer ist da?«
    Wieder ein Klopfen. Herrisch, ungeduldig dieses Mal. Sie tastete mit der Linken nach dem Schaft des Messers. Die Rechte streckte sie aus in Richtung Türknauf.
    »Nico? Bitte machen Sie auf. Ich will mit Ihnen reden.«
    Der Pfarrer. Mit einem Aufatmen ließ sie das Messer los und öffnete.
    »Danke. Darf ich hereinkommen?«
    Wortlos trat sie zur Seite und ließ ihn eintreten. Er nahm die Mütze ab und sah sich um wie jemand, der nach langer Zeit ein Museum betritt und sich zu erinnern versucht, ob alles auch noch an seinem Platz stand.
    Nico schloss die Tür. »Einen Kaffee vielleicht? Tee?«
    »Tee. Gerne.«
    Sie dachte nicht daran, ihn ins Wohnzimmer zu bitten, sondern marschierte an ihm vorbei in die Küche. Er folgte ihr.
    »Setzen Sie sich doch.«
    Hektisch räumte sie die leere Konservendose ab und wischte mit einem feuchten Lappen über die Tischplatte. Dann schaltete sie den Wasserkocher ein und suchte Teebeutel.
    Der Pfarrer nahm Platz. Er schwieg, also wartete er darauf, dass sie anfing.
    »Die Figur in der Kirche«, begann sie. »Sie erinnert mich an jemanden. Wen stellt sie dar?«
    »Die heilige Barbara. Sie ist die Schutzheilige der Bergleute.«
    »Das weiß ich.« Nico nahm zwei Becher aus dem Regal und prüfte kurz, ob sie auch sauber waren. »Aber ich kenne sie. Ich habe sie im Traum gesehen.«
    »Dann sind Sie wahrscheinlich außergewöhnlich spirituell veranlagt.«
    Sie stellte die Becher lauter ab, als es nötig gewesen wäre. »Das ist mir neu. Ich hab’s mit dem Spirituellen eigentlich nicht so. Mir sind Tatsachen lieber.«
    »Man kann sich gegen bestimmte Dinge nicht wehren.«
    Nico setzte sich ihm gegenüber auf die andere Seite des Tisches. »Da muss ich Ihnen leider recht geben. Seit ich hier bin, geschehen eine Menge Dinge. Aber wehrlos bin ich nicht.«
    Sie zog das Messer aus dem Hosenbund und legte es neben ihren Becher. Der Pfarrer zog scharf die Luft ein. Bis zu diesem Moment hatte er wahrscheinlich geglaubt, er hätte es mit einer etwas überspannten Heranwachsenden zu tun.
    »Liebe Nico, Sie nehmen sich einige Äußerungen vielleicht etwas zu sehr zu Herzen. Natürlich sind manche Leute verwirrt, dass Sie hier aufgetaucht sind. Wer weiß, vielleicht hat sich der eine oder andere auch Hoffnungen auf Schattengrund gemacht. Aber das ist in so einer kleinen Gemeinde normal.«
    »Die Hexe zu töten?«
    Er riss die Augen auf.
    »Die Hexe zu töten? Ist das normal?«
    Sie wartete und konnte ihm ansehen, dass er es in diesem Moment bereute, hergekommen zu sein. Für ihn war sie Kianas Nichte, die Erscheinungen hatte, sich für eine Hexe hielt, die heilige Barbara persönlich kannte und mit einem Messer herumlief. Unterm Strich deuteten alle Indizien darauf hin, dass sie, Nico, am Durchdrehen war und nicht die anderen. Der Gedanke war so absurd, dass sie am liebsten laut aufgelacht hätte – was sie nicht unbedingt glaubwürdiger machen würde, das wusste sie.
    »Jemand will mich umbringen.« Das klang auch nicht besser. Aber es war die Wahrheit.
    »Mein liebes Kind …«
    Sie beugte sich vor und sprach langsam und deutlich. »Jemand will mich töten.«
    »Sie meinen … einer von hier?«
    »Ja, von wo denn sonst?« Der Wasserkocher schaltete sich mit einem lauten Klacken ab. Nico war froh, dass sie sich um den Tee kümmern konnte, bevor sie den Mann noch anschreien würde. »Seit zwei Tagen ist doch niemand mehr nach Siebenlehen hereingekommen. Jemand schleicht um das Haus. Bricht ein. Klaut Sachen. Verbrennt sie.«
    »Was wurde verbrannt?«, fragte der Pfarrer schnell.
    Nico hängte die Teebeutel in die Kanne und trug sie zum Tisch.
    »Erinnerungen an Kiana.«
    Er schwieg. Schließlich schüttelte er langsam den Kopf.
    »Das ist schlimm. Wirklich schlimm.«
    »Das Schlimmste kommt erst noch. Er steigt nachts aufs Dach und verstopft den Kamin mit einer Krähe. Ich wäre fast an einer Rauchvergiftung erstickt.«
    »Oh, das tut mir leid. Manche Vögel bauen Nester auf verlassenen Häusern, und da kann es schon mal vorkommen …«
    »… dass sie sich erst köpfen und dann in den Schornstein werfen? – Zucker?« Die letzte Frage stellte sie mit einem liebenswürdigen, aber trotzdem falschen Lächeln. Sie schob ihm das Einmachglas hinüber, das sie im Vorratsschrank entdeckt

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