Schattenhaus
Personalien hatte der Motorradfahrer als berufliche Tätigkeit Bankkaufmann angegeben. Er war eher klein und laut seiner Lederjacke Rammstein-Fan. Winter wäre jede Wette eingegangen, dass sein Motorrad ein ultralaut frisiertes Teil war. «Ich bin mir relativ sicher, dass diese Fenster da hell erleuchtet waren», erklärte er auf Winters Frage und zeigte auf die beiden kleinen Fenster an der noch nicht renovierten Schmalseite des Hauses, die einzigen Nicht-Dachflächenfenster im Obergeschoss. Sie gehörten zum Schlafzimmer. Winter fragte sich, ob der Zeuge das mit dem Licht nach so langer Zeit noch wissen konnte. Andererseits, er hatte hier mit seinem Beinahe-Unfall ein aufregendes Erlebnis gehabt. So etwas schärfte manchmal die Erinnerung.
«Gehört haben Sie außer den Böllern nichts Besonderes?», fragte er noch.
«Glaub nicht. Aber ich fand das irgendwie unheimlich hier. Hatte Schiss, dass da vielleicht irgendwo ’n Knallkörper rumliegt. Hier wird ja dann auch der Weg besser, und nachdem ich mich nach meinem Rutscher berappelt hatte, bin ich gleich voll Speed weiter.»
Es schien tatsächlich so, als sei der Bankkaufmann hier vorbeigekommen, während sich der Täter am Tatort aufhielt. Und der Tatort war «hell erleuchtet». Diese Aussage, falls sie stimmte, deutete auf das Deckenlicht, nicht auf eine Nachttischlampe.
Winter nahm sich nach seiner Rückkehr ins Büro die Bilder des Tatorts vor und führte sich den Ablauf ein weiteres Mal vor Augen. Es war unwahrscheinlich, dass der Täter vor dem Mord das Deckenlicht eingeschaltet hatte. Dann wären die Eheleute doch sofort aufgewacht. Eher hatte er sich im Dunkeln bewegt, mit einer Taschenlampe ausgestattet. Höchstwahrscheinlich war es Thomas Vogel selbst, der das Licht eingeschaltet hatte, nachdem er von den Schüssen auf seine Frau geweckt worden und aufgesprungen und zur Tür gerannt war. Der Lichtschalter befand sich neben der Tür. Nachdem Vogel das Licht eingeschaltet hatte, hatte er sich zum Raum umgedreht: Er hatte wohl sehen wollen, was eigentlich los war. Und dann war er selbst erschossen worden.
Von wem? Definitiv nicht von Hendrik von Sarnau persönlich. Dessen Anwalt hatte heute für die Tatnacht im Fall Vogel ein perfektes Alibi vorgelegt – ein großes Familienfest in weiter Ferne im Niedersächsischen, zahlreiche Fotos mit Zeit- und Datumsangabe, auf denen der Verdächtige prominent zu sehen war. Genau, wie es Manteufel prophezeit hatte, als Winter ihr vor Monaten zum allerersten Mal von «Sumathi» erzählte:
Er ist Jurist
, hatte sie gemeint,
und er wird ein wasserdichtes Alibi haben.
Natürlich war es zu riskant für Sarnau, Sabrina Vogel selbst zu erschießen, wenn er ihre Lebensversicherung kassieren wollte.
Wer aber war sein Handlanger? Für Wladimir Preiß sprach inzwischen nicht einmal mehr sein Motorradführerschein. Und von der Idee, dass die Kinderzeichnung Preiß darstellen sollte, hatte ihn Manteufels Lachanfall geheilt. Preiß war es nicht. Doch in Sarnaus magerer Klientenkartei hatten sie niemanden gefunden, der so gut wie Preiß ins Schema «Auftragsmörder» passte. Sarnau hatte keine Kriminellen verteidigt, auch keinen Fremdenlegionär, Wehrsportfan oder dergleichen.
Wer blieb? Ein Vertrauter Sarnaus, mit dem er sich das Geld teilen wollte? Am ehesten dieser Schulfreund Tim Steiner, der Manteufel bei ihren Recherchen so üble Geschichten über den Umgang der Sarnau-Clique mit der Mitschülerin Sabrina erzählt hatte. Steiner schien sich zwar von Sarnau distanziert zu haben. Andererseits hatte er auf Ziering, der ihn kürzlich befragt hatte, den Eindruck eines verkrachten Künstlers gemacht. Vielleicht brauchte er Geld. Winter notierte, dass sie noch einmal mit Tim Steiner reden mussten.
Mindestens so wahrscheinlich als Handlanger schienen die Krombachs in Allmenrod. Die konnten Geld gebrauchen, die Höfe knapsten wohl alle am Existenzminimum, seitdem der Betrieb des alten Heiner Krombach unter den Nachkommen aufgeteilt worden war. Winter hatte selten einen so bejahrten Trecker gesehen wie den auf Jörg Krombachs Hof. Und Sarnau wusste wahrscheinlich als Mitschüler Sabrinas von der berühmten Dorffehde zwischen den Familien Krombach und Pfister.
Hatte also der findige Anwalt einen Allmenröder Krombach mit der Tat beauftragt, der das Geld gut gebrauchen konnte und zugleich nicht allzu viele Skrupel hegte, jemandem aus der Familie Pfister etwas anzutun? Winter würde sich die Kontenbewegungen bei Sarnau noch einmal
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