Schattenjahre (German Edition)
gehörte, wusste er nicht, erklärte aber, dies ließe sich leicht feststellen. Liz hatte es damals kaufen wollen. Aber es war versteigert und schließlich zu einem Preis veräußert worden, der ihre finanziellen Möglichkeiten überschritten hatte. „Für eine landwirtschaftliche Nutzfläche fand ich es viel zu teuer. Übrigens, wie geht es Ihrer Mutter? Gibt’s irgendwelche Neuigkeiten?“
„Ihr Zustand ist stabil“, antwortete sie automatisch. Wie oft hatte sie diese Worte schon ausgesprochen, um angstvolle Leute zu beschwichtigen … „Man hofft, sie bald operieren zu können. Da ist dieser Druck im Gehirn …“ Ihre Stimme erstarb. Nur zu gut wusste Sage, was sie verheimlichte. Das Leben der Mutter hing an einem seidenen Faden.
„Sorgen Sie sich nicht“, wurde sie von dem Anwalt getröstet. „Ihre Mutter ist eine Kämpfernatur. Wenn jemand so etwas durchstehen kann – dann sie. Ich rufe Sie an, sobald ich die Information habe. Hoffentlich dauert es nicht allzu lange.“
Während sie auf den Rückruf wartete, studierte sie wieder die Zeitungsausschnitte und versuchte ihnen zu entnehmen, was die erfolgreichen Bürgerinitiativen gemeinsam hatten: ein gewisser Einfluss an den richtigen Stellen, die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit der Medien zu erregen, maximale Publicity zu erreichen. Aber was am wichtigsten war – die meisten Protestgruppen konnten historisch bedeutsame Stätten vorweisen, die den Bauprojekten zum Opfer gefallen wären. Ein kleines Dorf war allerdings wegen seiner landschaftlichen Schönheit verschont worden. Seine Umgebung gehörte zu den drei einzigen Gebieten in ganz Großbritannien, wo eine gewisse Spezies seltener wilder Blumen wuchs.
Sage strich sich das Haar aus der Stirn. Ihres Wissens gab es rings um Cottingdean weder besondere Blumen noch Vögel. Das Haus und das Dorf waren zwar alt, aber historisch nicht bedeutsam. Wenn man es nüchtern betrachtete, gab es keinen Grund, warum man Cottingdean die neue Straße ersparen oder die hohen Kosten tragen sollte, die ein Umweg jenseits der Rieselwiesen erfordern würde.
Das Telefon läutete und unterbrach Sages Gedanken. „Ich habe eruiert, wem das Grundstück gehört“, berichtete der Anwalt in trockenem Ton, „und ich war keineswegs überrascht. Sagt Ihnen der Name Hever Homes irgendwas?“
„Nein“, erwiderte Sage wahrheitsgemäß. „Offensichtlich handelt es sich um eine Baufirma.“
„Hm … In der Stadt genießt dieser Betrieb den Ruf, sich immer wieder blitzschnell erstklassige Bauplätze anzueignen. Er ist auf kleinere Eigenheime spezialisiert und soll gute Arbeit leisten. Aber darauf kommt es nicht an. Eine andere Tatsache ist viel interessanter. Hever Homes ist eine Tochterfirma eines wesentlich größeren Unternehmens – Cavanagh Construction.“
Sage umklammerte den Hörer etwas fester. „Daniel Cavanaghs Firma – die unseren Teil der neuen Straße bauen soll …“
„Genau. Ein merkwürdiger Zufall, nicht wahr? Mr Cavanagh kauft ausgerechnet das Stück Land, durch das die neue Straße führen soll – noch bevor er die Baugenehmigung erhalten hat. Nun, angesichts der derzeitigen Neigung unserer Regierung, landwirtschaftliches Nutzlandbebauen zu lassen, dürfte man Mr Cavanagh keine allzu großen Steine in den Weg legen. Sehr clever von ihm – sich dieses Grundstück unter den Nagel zu reißen, noch ehe eine Entscheidung gefallen ist, aber auch riskant. Wenn eine andere Strecke gewählt wird … Aber er kann so oder so nur gewinnen – falls er Agnes Hazelbys Bedingung, ihr Haus dürfe nicht abgerissen werden, erfolgreich anficht. Auch wenn die neue Straße in einiger Entfernung von diesem Land entsteht, wird sie viele Londoner in diese Gegend locken, und denen kann er seine hübschen Luxusvillen verkaufen. Natürlich wird das Dorf Cottingdean dann aufhören, in seiner derzeitigen Form zu existieren. Ich weiß, das will Ihre Mutter verhindern – aber es wird fast unmöglich sein, denn sie hat sehr mächtige Kontrahenten.“
Dem konnte Sage nicht widersprechen. Bedrückt dachte sie an die besitzergreifende weibliche Hand auf Daniels Arm. Was kam zuerst, fragte sie sich zynisch. Der Ankauf dieses Landes oder die Beziehung zu der Frau aus dem Ministerium?
Sie dankte dem Anwalt, legte den Hörer auf die Gabel und überlegte, warum die Information sie dermaßen schockierte. Wenn sie überhaupt etwas empfinden sollte, dann nur Verachtung für diesen Mann, der ihr einmal so arrogant ihr Doppelspiel, ihre
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