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Schattenjahre (German Edition)

Schattenjahre (German Edition)

Titel: Schattenjahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Penny Jordan
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– so müde, die Schultern gebeugt, die Augen glanzlos. Genauso sah sie auch aus, wenn der Vater betrunken heimkam.
    Dad fluchte, als sie ihm die Hackfleischpastete servierte, und meinte, das sei kein Essen für einen hart arbeitenden Mann. „Ich will einen Eintopf mit richtigem Fleisch, so wie ihn meine Mom macht, und den werde ich auch kriegen!“, schrie er, schob den Teller beiseite und stand auf. „Weißt du, was das Problem mit dir ist?“, fügte er von der Tür her hinzu. „Du bildest dir ein, du wärst was Besonderes, aber du hast keine Ahnung, wie man einen Mann behandelt. Nun, merk dir eins – wenn’s mich nicht gäbe, würdest du mit deinem Balg …“
    „John, bitte, warte doch …“
    Daniel hörte die Verzweiflung in der Stimme seiner Mutter und hasste den Vater, weil er ihr das alles antat.
    „Daniel – hat ein Stipendium für die Drapers School erhalten“, fuhr sie fort. „Ist das nicht wunderbar?“
    Sekundenlang herrschte Schweigen, dann wandte sich John Ryan zu Daniel und starrte ihn an, grausamen Hohn in den Augen. Dieser Blick nahm dem Jungen beinahe den Atem. Dass Dad ihn nicht liebte, hatte er gewusst, aber dieser Abscheu, diese Feindseligkeit … „Wunderbar findest du das? Nun, da bin ich anderer Meinung, und ich sage dir – mein Sohn geht nicht auf so eine hochgestochene Schule, sondern auf Mile End, so wie seine Vettern und Cousinen, so wie’s mein Dad getan hat.“
    Mile End – die größte und schlimmste Realschule im ganzen Viertel … Daniel wusste Bescheid über Mile End, über die Banden wilder, brutaler Jungs, die einander verbissene Kämpfe lieferten. Sein ältester Vetter war der Anführer einer solchen Gang.
    Ein Schauer lief über Daniels Rücken, und die Mutter flehte: „Nein, John – bitte … Du verstehst das nicht. Das ist eine großartige Chance für den Jungen. Wenn er fleißig lernt, könnte er später die Universität besuchen …“
    „Was könnte er? Will er vielleicht höher hinaus als sein Dad und seine Vettern?“
    Unglücklich klammerte sich die Mutter an den Arm des Vaters, und die Luft in der kleinen Küche schien vor unterdrückten Gefühlen zu knistern. Die stärkste dieser Emotionen war Daniels Furcht. Er wagte nicht, mit dem Vater zu reden, ihn zu bitten …
    „John, er soll doch seine Chance haben …“
    John Ryans Gesicht verzerrte sich vor Wut. „Er ist mein Sohn, Megan, vergiss das nicht. Und ich bestimme, auf welche Schule er geht. Das ist ja das Problem mit dir – du hast nur ihn, sonst keinen, um den du dich sorgst. Und du weißt ja, was Vater Leary sagt …“
    Daniel las die Angst in ihren Augen. Er wusste alles über den Priester. Der kam jeden Sonntag zu Nan und sprach mit allen, nur nicht mit Mom und ihm. Sie waren keine Katholiken, sondern Dissenters. Auch nach der Hochzeit hatte die Mutter am Glauben ihrer Kindheit festgehalten.
    Anfangs war Daniel verwirrt gewesen, weil er nicht wie seine Vettern zur Kirche ging. Aber dann hatte er von Mutters Religion erfahren und angenommen, es müsste damit zusammenhängen.
    Während er nun sah, wie nervös sie den Vater anschaute, krampfte sich sein Magen zusammen. Es drängte ihn, zu ihr zu laufen, sie in die Arme zu nehmen und zu beschützen.
    „John, bitte!“, flehte sie wieder, aber der Vater trat zurück, schüttelte ihre Hand so mühelos ab, als wäre sie ein Kind, und stieß sie quer durch die kleine Küche, sodass sie gegen den Herd prallte.
    „Er geht nicht auf die Drapers School, und damit basta. Was hat ein Ryan auf einer so feinen Schule zu suchen? Bald ist er alt genug, um auf einer Baustelle sein Geld zu verdienen, so wie seine Vettern.“
    Megan Ryan lehnte am Herd, das Gesicht schmerzlich verzogen, eine Hand gegen die linke Hüfte gepresst. Stumm beobachtete Daniel, wie Dad die Küche verließ.
    Er kam erst zurück, als Daniel längst im Bett lag. Das Geschrei des Vaters und das Schluchzen der Mutter rissen ihn aus dem Schlaf.
    Am nächsten Morgen geschah es zum ersten Mal, dass Mom ihn nicht weckte. Er stand auf, lief ins Elternschlafzimmer und sah sie reglos im Bett liegen, das Gesicht zur Wand gedreht. „Nein, zieh die Vorhänge nicht auf“, sagte sie. Ihre Stimme hatte den melodischen Klang verloren, ein bitterer Unterton schwang darin mit, und plötzlich fürchtete sich Daniel, ohne zu wissen, warum.
    Der Vater ließ sich nicht blicken, und als Daniel zur Schule ging, lag Mom immer noch im Bett. Sie habe Kopfweh, erklärte sie, aber sie würde sich bald besser

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