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Schattenjahre (German Edition)

Schattenjahre (German Edition)

Titel: Schattenjahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Penny Jordan
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wusste, lebten ihre Eltern noch, sie hatte einen verheirateten Bruder, es gab walisische Vettern und Cousinen.
    Diese Vettern und Cousinen interessierten ihn ebenso wenig wie die irischen. Mit denen vertrug er sich nicht, sie betrachteten ihn als Außenseiter, nur wegen seines walisischen Blutes, und nannten ihn „walisischen Bastard“. Das nahm er gelassen hin. Er stand gern im Abseits, denn er sagte sich, er würde niemals ein menschliches Wesen mit Fäusten traktieren und es genießen, anderen wehzutun, so wie der Vater, wenn er die Mutter schlug. Niemals in seinem ganzen Leben würde er die Hand gegen einen Mitmenschen erheben. An diesem Grundsatz hatte er schon in den ersten Jahren auf der Drapers School festgehalten, wo er unter den privilegierten Mitschülern aus wohlhabenden Elternhäusern ein Außenseiter gewesen war.
    „Stipendium-Balg“ nannten sie ihn, aber mit der Zeit wurde er einigermaßen akzeptiert. Und nun hatte ihn Dads Tod auch von der Bürde seiner Angst und Wut befreit.
    Beim Begräbnis schluchzte die Großmutter laut und beklagte den Verlust ihres kostbaren Sohnes. Daniel fragte sich, warum er nichts empfand. Aber es gab keine schönen Erinnerungen, an die er sich in diesem Augenblick hätte klammern können, wo der Sarg des Vaters in der Erde versank.
    Als seine Brüder die trauernde Mutter vom Grab wegführten, wandte sie sich zu Megan Ryan und fauchte: „Es ist deine Schuld. Mit deinem Hochmut hast du ihn umgebracht. Nie hätte er dich heiraten dürfen. Und er hätte es auch nicht getan, hättest du ihn nicht so hinterlistig hereingelegt …“
    Das begriff Daniel nicht. Mom sollte Dad hereingelegt haben? Sicher war es andersrum gewesen. Warum hätte sie einen solchen Mann heiraten wollen? Aber trotzdem fühlte Daniel sich schuldig, weil er keine Trauer verspürte.
    Nach dem Todesfall verlief das Leben eine Zeit lang wie zuvor – mit dem einzigen Unterschied, dass sie jetzt von Vaters Gegenwart erlöst waren. Die Armut warf weiterhin Probleme auf, aber jetzt sang Mom wenigstens wieder, sie lächelte und lachte. An den Wochenenden, wenn sie nicht arbeitete und Daniel schulfrei hatte, besuchten sie Museen und Galerien. Manchmal fuhren sie mit dem Zug zu besonders schönen Orten wie Lytham St. Anne’s, wo er ehrfürchtig die vornehmen Häuser bestaunte. Und er freute sich, wenn die Mutter sagte, er müsse in der Schule fleißig sein, dann würde auch er eines Tages ein solches Haus bewohnen.
    Sollte das wirklich geschehen, würde sie bei ihm leben. Das nahm er sich ganz fest vor. Er wollte ihr alles geben, was Dad ihr vorenthalten hatte. Und dann würde sie hübsche Kleidertragen, nicht mehr arbeiten, nicht mehr so müde aussehen.
    Zu Beginn der Sommerferien – acht Monate, nachdem der Vater gestorben war, ereignete sich ein weiterer Todesfall, der Daniels Leben völlig veränderte.

14. KAPITEL
    Der Brief kam am Montagmorgen an, eine fremde Männerhandschrift bedeckte das Kuvert.
    „Von meinem Bruder“, sagte die Mutter, öffnete den Umschlag und wurde blass. „Dein Großvater ist tot, Danny. Und dein Onkel Gareth möchte, dass wir die Familie besuchen. Mom braucht mich.“ Weitere Erklärungen gab sie nicht ab, und irgendetwas in ihrer Stimme verbot ihm, Fragen zu stellen.
    Sie fuhren mit der Bahn nach Aberystwyth, von dort mit dem Bus zu einem kleinen Dorf über der Cardigan-Bucht.
    Daniel, der keine andere Küste kannte als den Hafen von Liverpool und das Flachland von Lytham St. Anne’s, fand die Pembroke-Klippen atemberaubend schön. Als sie auf einem staubigen kleinen Platz ausstiegen, blieb sein Blick an der Aussicht hängen, die er schon vom Busfenster aus genossen hatte.
    Der Platz war menschenleer und still – fremdartig nach dem Getriebe von Liverpool, der stickigen, von Benzingestank erfüllten Luft der Straße, wo sie wohnten. Der Bus fuhr weiter die Küstenstraße entlang. Eine andere Straße führte bergab zum Meer. Von ihrem oberen Ende aus, wo Daniel mit seiner Mutter stand, sah er einen Hafen mit Fischerbooten.
    „Da müssen wir hinunter.“ Mom berührte seine Hand. Im Bus war er fasziniert vom Akzent der Mitreisenden gewesen, und nun sprach die Mutter plötzlich genauso, noch melodischer, noch – walisischer.
    Niemand begegnete ihnen auf der schmalen Straße, aber manchmal sah Daniel einen diskret bewegten Spitzenvorhang. Und als die Mutter in eine Seitengasse zwischen zwei Häusern biegen wollte, raste ein Auto auf sie zu und hielt abrupt. Der Mann, der

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